Projekt „Orca“

Wasserstoffnetz unter staatlicher Kuratel

Die Bundesregierung will aus Sefe und Uniper einen großen nationalen Wasserstoffnetzbetreiber schmieden. Das Projekt „Orca“ ist umstritten.

Wasserstoffnetz unter staatlicher Kuratel

Bis zum Beginn des Ukraine-Kriegs kam das Gas für Deutschland überwiegend aus Russland. Inzwischen kommt es per Pipeline aus Norwegen und per Schiff aus Arabien. Doch auch so soll es nicht lange bleiben: In Zukunft wird – wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht – mit erneuerbaren Energien erzeugter „grüner“ Wasserstoff das Gas ersetzen. Dafür muss neben den Pipelines oder Anlandestationen für den Im­port schnell ein Wasserstofftransportnetz im Inland errichtet werden, das den Brennstoff zu den Kraftwerken und Fabriken transportiert. Teilweise muss dazu das bestehende Gasnetz umgerüstet werden, teilweise muss es ausgebaut werden. Gas- und Wasserstoffnetz hängen dabei symbiotisch eng zusammen.

Hohe Milliardenbeträge sind für den Wasserstoff-„Wumms“ notwendig. Den privaten Marktakteuren – in diesem Fall die zwölf Gas-Fernleitungsnetzbetreiber in Deutschland – traut die Bundesregierung den finanziellen Kraftakt allein nicht zu. Deshalb strebt das Bundeswirtschaftsministerium seit Dezember die Gründung eines nationalen Wasserstoffnetzbetreibers mit staatlicher Beteiligung an, wie aus Papieren der Unternehmensberatung Boston Consulting Group sowie des Gaskonzerns Sefe für die Bundesregierung und von Kearney für einige Fernleitungsnetzbetreiber hervorgeht, die der Börsen-Zeitung vorliegen.

Als Nukleus für den nationalen Wasserstoffnetzbetreiber könnte demnach der Gasnetzbetreiber Gascade dienen, der ohnehin schon vollständig dem Bund gehört, weil er eine Tochter des verstaatlichten Gazprom-Germania-Nachfolgekonzerns Sefe ist. Diesen Vorschlag macht Sefe in einem separaten Papier vom Januar 2023 selbst. Auch dem verstaatlichten Energiekonzern Uniper könnte Wasserstoff eine langfristige Perspektive geben, wie es im Projekt „Orca“ von Boston Consulting heißt.

Der zweite Vorschlag – nach dem Abschluss neuer LNG-Langzeitverträge – ist die Etablierung eines nationalen Wasserstoffakteurs, „welcher am Markt agiert und auf relevanten Geschäftsbestandteilen von Uniper und/oder Sefe aufbaut“, heißt es im Boston-Consulting-Papier. „Dieser soll initial vor allem Infrastruktur (Pipelines und Speicher) sowie Im­port, Handel und Vertrieb beinhalten und sich aus dem heutigen Gasgeschäft hin zu Wasserstoff entwickeln.“ Durch diese anfangs breite Aufstellung entlang der Wertschöpfungskette könnten notwendige In­vestitionsimpulse an den Markt ge­sendet werden, „insbesondere mit einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes im Hochlauf“. Die Staatsbeteiligung sei „notwendig, da ein Unternehmen gerade am Anfang vor großen Investitionsrisiken steht und daher die benötigte Geschwindigkeit des Hochlaufs gefährden könnte“.

Die Gas-Fernleitungsnetzbetreiber in Deutschland erkennen den Willen des Bundes, in diesem Bereich zu lenken, zwar an. Aber es gibt Widerstand gegen die konkreten Pläne, weil einige Marktakteure dabei außen vor bleiben würden. „Das Wirtschaftsministerium will mit vier Fernleitungsnetzbetreibern voranmarschieren – das Eigentum der übrigen acht an ihren Gasfernleitungen würde voraussichtlich zu einer Bad Bank. Das werden sie sich nicht bieten lassen“, sagte eine mit den Plänen vertraute Person der Börsen-Zeitung.

Die vier Fernleitungsnetzbetreiber, die der Bund am nationalen Wasserstoffnetzbetreiber beteiligen will, sind die Sefe-Tochter Gascade, Gasunie Deutschland sowie Open Grid Europe (OGE) aus dem Portfolio des Finanzinvestors Macquarie und die VNG-Tochter Ontras. Zu den acht nicht berücksichtigten Gegnern der Pläne zählen der Fernleitungsnetzbetreiber Terranets BW des Landes Baden-Württemberg sowie das börsennotierte belgische Unternehmen Fluxys und die zu einem anderen Macquarie-Fonds als OGE gehörende Thyssengas. Anfangs agierten die Netzbetreiber noch gemeinsam. Doch dann scherten vier von ihnen aus, um vorzupreschen.

Laut Boston Consulting Group ist ein Wandel von Sefe und Uniper zu einem reinen Wasserstoffinfrastrukturanbieter „möglich und voraussichtlich regulatorisch bedingt“. Hierbei spielten Unbundling-Regulatorik (Entflechtung) sowie vor allem die aktuellen Auflagen der EU-Kommission eine Rolle – Letztere erlaubten mittelfristig nur den Verbleib von Infrastruktur- und Speicher-Assets in Bundesbesitz.

„Die Vorteile umfassen die zielgerichtete und notwendige Beschleunigung der deutschen Wasserstoffwirtschaft“, konstatieren die Unternehmensberater. „Hierfür können vorhandene (Gas-)Infrastrukturen von Sefe und zu Teilen auch Uniper genutzt werden. Darüber hinaus könnten auch die (Gas-)Fähigkeiten von Sefe und/oder Uniper für die spätere Wasserstoffbeschaffung an den Wirtschaftsstandort Deutschland eingebracht werden.“

Auch weitere Marktakteure können sich perspektivisch mit relevanten Infrastrukturen und Fähigkeiten im Tausch für Unternehmensbeteiligung einbringen. Damit werde eine breite Marktakzeptanz sichergestellt und das Risiko von Wettbewerbsverzerrung und möglichen EU-Beihilfebedenken minimiert.

Gegen die Etablierung eines nationalen Akteurs spreche „eine ausreichende neue Regulierung und die teilweise bloßen Minderheitsbeteiligungen von Uniper und Sefe an be­stehender Infrastruktur“: „Es gilt zu prüfen, ob eine zeitnahe und um­fassende Regulierung nicht ebenfalls ausreichende Signale in den Markt senden kann und so eine zielgerichtete Beschleunigung der Wasserstoffwirtschaft sicherstellt“, rät Boston Consulting Group.

Im Projekt „Orca“ von BCG wurden Vorschläge für die Zukunft von Uniper und Sefe diskutiert und erarbeitet. Beide Unternehmen sind im Eigentum des Bundes und werden vom Bundesfinanzministerium (Uniper) und Bundeswirtschaftsministerium (Sefe) verwaltet.

Es drohte die Insolvenz, sodass der Bund 2022 bei beiden Unternehmen eingestiegen ist, um die deutsche Gasversorgung sicherzustellen. Die Handlungsvorschläge aus dem Projekt basieren auf ersten Diskussionsrunden zwischen den Staatssekretären Udo Philipp und Patrick Graichen, den CEOs beider Unternehmen – Egbert Laege (Sefe) sowie Klaus-Dieter Maubach (Uniper) – und BCG im Dezember. Die Diskussionen wurden laut BCG-Papier jeweils von Kartellrechtsanwälten begleitet.

Auch die Unternehmensberatung Kearney hat – im Auftrag der vier Netzbetreiber mit Ambitionen – für die Bundesregierung einen „Strukturvorschlag für einen schnellstmöglichen H2-Hochlauf mit direkter staatlicher Beteiligung“ vorgelegt. Verhindern wollen Gascade, Gasunie Deutschland, OGE und Ontras ein sogenanntes „ISO-Modell“ (unabhängiger Systembetreiber), bei dem die Wasserstoff-Assets an eine Betreibergesellschaft mit Bundesbeteiligung verkauft oder verpachtet werden. Dieses Modell scheint aber bisher im Bundeswirtschaftsministerium favorisiert zu werden.

Wesentliches Ausgestaltungsmerkmal des Kearney-Vorschlags: Durch direkte Anteilseignerschaft an den Gasnetzbetreibern und einer separaten Wasserstoff-Betreibergesellschaft kann der Staat den Wasserstoff-Netzaufbau weitreichend be­einflussen und mitgestalten. Der stabile Cashflow des alten Erdgas-Geschäfts ermöglicht den Aufbau des Wasserstoff-Netzes. „Die operativen Wasserstoff-Funktionen der Systemplanung und Transportvermarktung werden in einer Wasserstoff-Betreibergesellschaft mit staatlicher und Fernleitungsnetzbetreiber-Anteilseignerschaft gebündelt. Potenzielle Wasserstoff-Kunden profitieren von ,One face to the customer‘“, heißt es im Kearney-Papier, das im Bundeskanzleramt präsentiert wurde.

Die Erdgas- und Wasserstoff-Assets bleiben nach diesem Plan im Eigentum der Unternehmen. Sie verpachten die Wasserstoff-Assets und stellen operative Servicedienstleistungen für die Wasserstoff-Betreibergesellschaft zur Verfügung. „Das Zielmodell ermöglicht einen schnellen Hochlauf des Wasserstoff-Netzaufbaus, da FNBs ein großes Maß an operativer Handlungsfähigkeit be­halten und Assets sowie Kompetenzen effektiv genutzt werden.“

Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt

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