Wichtiges Signal
Das Timing hätte für die Europäische Zentralbank (EZB) kaum unglücklicher sein können. Inmitten des Bankbebens dieser Woche musste sie als erste der großen Zentralbanken entscheiden, wie sie mit dem Dilemma aus Inflationsproblem und Finanzstabilitätsrisiken umgeht – obwohl die Ursachen primär andernorts liegen, in den USA (Silicon Valley Bank) und der Schweiz (Credit Suisse). Die EZB hat nun einerseits trotz aller Unkenrufe an der avisierten Zinserhöhung um 50 Basispunkte festgehalten. Andererseits hat sie sich zu möglichen weiteren Schritten viel vorsichtiger geäußert als zuvor. Dieser Spagat scheint für den Moment angemessen. Für die Zukunft ist aber essenziell: Die EZB darf den Kampf gegen die Inflation nicht auf dem Altar der Finanzstabilität opfern.
Die Inflation im Euroraum ist weiter viel zu hoch und nach wie vor das größte Joch für die Euro-Wirtschaft. Sie ist zwar seit Herbst deutlich zurückgegangen – von 10,6% im Oktober auf 8,5% im Februar. Das ist aber immer noch mehr als viermal so hoch wie das EZB-Ziel von 2,0%. Schlimmer aber noch: Der zugrundeliegende Preisdruck gemessen an der Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) zieht weiter an und hat ein Rekordhoch von 5,6% erreicht. Die Inflation breitet sich also immer weiter in der Wirtschaft aus und verfestigt sich. Das macht für sich genommen weitere Zinserhöhungen nötig. Die 50 Basispunkte jetzt sind deshalb richtig und wichtig, auch als Signal. Nicht zuletzt die hohen Lohnforderungen in Deutschland zeigen, wie groß die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale nach wie vor ist. Die EZB muss sicherstellen, dass ihr die Situation nicht völlig entgleitet – wie der US-Notenbank Fed in den 1970er und 1980er Jahren.
Natürlich konnte und kann die EZB auch die jüngsten Turbulenzen bei den Banken und an den Finanzmärkten nicht ignorieren. Eine ausgewachsene Banken- und Finanzkrise würde wohl auch gravierende Folgen für Wachstum und Inflation haben. Im schlimmsten Fall könnte es gar neue deflationäre Trends geben. Aktuell aber besteht die Hoffnung, dass es so schlimm nicht kommt. Das Handeln der Verantwortlichen in den USA hat das Risiko einer systemischen Krise erst einmal gemindert. Und die Credit Suisse erscheint mit ihren hausgemachten Problemen als spezieller Fall. Ein Verzicht auf die avisierte Zinserhöhung hätte womöglich sogar eher kontraproduktiv gewirkt und die Unsicherheit an den Märkten vergrößert sowie Zweifel an Europas Bankensektor geschürt.
Wenn sich die Lage an den Finanzmärkten wieder beruhigt, muss die EZB in den nächsten Monaten ihren Zinserhöhungskurs fortsetzen. Aber auch wenn die Lage erst einmal angespannt bleibt, darf die EZB die Anhebungen nicht voreilig komplett stoppen – zumindest solange es keine schwere Finanzkrise mit entsprechenden Implikationen für die Inflation gibt. Im Notfall muss die EZB zweigleisig fahren: Einerseits muss sie die Inflation weiter mit Zinserhöhungen bekämpfen. Andererseits muss sie mit (neuen) Liquiditätshilfen zur Stabilität des Bankensektors beitragen. Aber auch dabei muss die EZB aufpassen, nicht zu überziehen und falsche Anreizsignale zu setzen. In jedem Fall ist die Zeit vorbei, in der die EZB stets als Ausputzer für alles und jeden bereitstand. Dafür ist das Inflationsproblem viel zu gravierend.