Desaster für die Ampel-Koalition in Berlin
Desaster für die Ampel-Koalition in Berlin
AfD stärkste Kraft in Thüringen – Ökonomen sorgen sich um Standortattraktivität – Streit über richtigen Kurs unter demokratischen Parteien
Die Parteien der Bundesregierung – SPD, Grüne, FDP – wurden bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen abgestraft. Entweder schafften sie es nicht in die Landesparlamente oder liegen nur wenige Prozentpunkte darüber. Schwierige Konstellationen für die Regierungsbildung zeichnen sich ab.
lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Es ist ein historischer Erfolg für die Alternative für Deutschland (AfD). Erstmals ist eine rechtsextreme Partei bei einer Landtagswahl stärkste Kraft geworden. In Thüringen hat sie in einem Erdrutschsieg alle anderen Parteien weit hinter sich gelassen. Die CDU kann sie nur mit einer schwierigen Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sowie der Linkspartei von der Regierung noch fernhalten. Und bei der Landtagswahl in Sachsen hat die CDU zwar die meisten Stimmen erzielt, liegt damit aber nur hauchdünn vor der AfD. Und auch hier ist das bisherige Bündnis aus CDU, SPD und Grünen (Kenia-Koalition) nicht mehr in der Lage, eine Regierungsmehrheit zu bilden. Soll die AfD aus der Regierungsbildung herausgehalten werden, was die Union bekundet, geht es ohne das BSW nicht mehr – entweder als Koalitionär oder über die Duldung einer Minderheitskoalition.
Insgesamt können die populistischen Parteien AfD und BSW in beiden Bundesländern große Erfolge einfahren, während es für die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP nur für einstellige Quoten reicht. Die Grünen fallen nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis aus dem Thüringer Landtag heraus, die FDP wird in beiden nicht mehr vertreten sein. Bei der Wahl in Sachsen kommen die Ampel-Parteien zusammengenommen nur noch auf etwa 13%, in Thüringen gar nur auf 10%.
Sachsen: CDU nur knapp vor AfD
In ersten Reaktionen nach der Wahl haben SPD, Grüne und FDP zwar ihre Verluste und ihre inzwischen marginale Position in diesen Bundesländern eingestanden, doch eigene inhaltliche Positionen oder die Richtung ihrer Politik insgesamt wurde nicht selbstkritisch infrage gestellt. Vielmehr haben SPD und Grüne auf „Kommunikationsprobleme“ hingewiesen; die SPD kündigte obendrein an, mit Blick auf die Schuldenbremse ihr Profil in der Ampel gegen die FDP zu schärfen. SPD und Grüne nehmen zudem eher die Union ins Visier und deren politischen Kurs. Äußerungen von CDU/CSU etwa zur Migrationspolitik wurden als Anbiederung an die AfD verunglimpft und seien ein Grund für die Wahlverluste demokratischer Parteien, wird behauptet.
In Sachsen hat die CDU ihre Position als stärkste Partei nur knapp gegen die AfD verteidigen können – und auch nur deshalb, weil die rechtsextremen „Freien Sachsen“ der AfD Stimmen weggenommen haben. Das BSW erreicht aus dem Stand ein zweistellige Werte. Die Linke hat nur noch die Hälfte ihrer Stimmen von vor fünf Jahren erreicht. Auch die Grünen haben nur hauchdünn den Wiedereinzug in den Landtag geschafft. Die FDP verpasst ihn erneut – wie schon bei den vergangenen zwei Landtagswahlen.
Die Position der AfD in Sachsen wäre noch stärker, wenn sie die Sperrminorität erreicht hätte, also ein Drittel der Mandate. Dadurch hätte sie einige Stellenbesetzungen blockieren können, weil gegen die AfD keine Zweidrittelmehrheit mehr hätte organisiert werden können. Nach einer Neuberechnung der Sitzverteilung scheint aber – anders als in Thüringen – diese Problematik in Sachsen ausgeräumt zu sein.
Klarer Gewinner
In Thüringen ist die AfD klarer Gewinner dieser Wahlen und vereinigt mit 32,8% die meisten Stimmen auf sich. Die CDU landet mit Abstand dahinter. Aus dem Stand schafft es das BSW auf die dritte Position und lässt die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow, aus der sie hervorgegangen ist, weit hinter sich. Die Linke stürzt dramatisch ab um deutlich mehr als die Hälfte der Stimmen in der Landtagswahl davor (31%). Auch hier müssen die Parteien der Berliner Ampel-Regierung starke Verluste verbuchen: Die SPD liegt noch unter ihrem bislang schlechtesten Ergebnis in Thüringen von 2019 (8,2%). Die Grünen und die FDP scheiden aus dem Parlament aus.
Sorge vor Abwanderung
Top-Ökonomen warnen nach den Erfolgen von AfD und BSW bei den Landtagswahlen vor wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen. Vor allem die AfD stehe für Protektionismus und eine Abschottung von Europa, für weniger Zuwanderung von Fachkräften und eine geringere Offenheit und Vielfalt, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, am Sonntagabend der Nachrichtenagentur Reuters. Er halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Wahlergebnisse zu einer Abwanderung von Unternehmen und auch Fachkräften führen werde.
„Vor allem junge, gut qualifizierte und hoch motivierte Bürgerinnen und Bürger werden die beiden Bundesländer verlassen und dorthin gehen, wo sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren“, sagte der Ökonom. „Dies dürfte einen Anstieg der Insolvenzen und einen Exodus von Unternehmen zur Folge haben.“ Die Gefahr sei groß, dass der Erfolg von AfD und BSW damit Wirtschaft und Wohlstand in beiden Bundesländern schmälern und die großen wirtschaftlichen Erfolge der Vergangenheit infrage stellen werde.
Besorgt äußerte sich auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Für die Wirtschaft kann das nichts Gutes verheißen, denn es braucht politische Berechenbarkeit, institutionelle Stabilität und verlässliche Rahmenbedingungen“, sagte IW-Direktor Michael Hüther. Da die Bundesebene ihren Einfluss auf die Wahlergebnisse gehabt haben dürfte, müssten auch dort die Herausforderungen entschlossen angegangen werden. „Eins ist klar: Mehr Sozialpolitik hält Menschen nicht von der Wahl populistischer Parteien ab“, sagte Hüther. „Da Abstiegsängste und Entwertungserfahrungen einen großen Einfluss haben, braucht es den vorsorgenden Investitionsstaat statt des nachsorgenden Sozialstaates.“
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger spricht von einem „Warnzeichen für die Ampel im Bund“ und fordert inhaltliche Konsequenzen in der Politik. Die Ergebnisse zeigten, dass „jede Regierung im Bund und im Land die Interessen für Arbeitsplätze und damit für den sozialen Zusammenhalt im Blick haben muss“.
TÜV: Alarmsignal für die Marktwirtschaft
Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen und Thüringen sind nach Ansicht von Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands, „ein Alarmsignal für unsere Gesellschaft, für Demokratie und soziale Marktwirtschaft“. Die wirtschaftspolitischen Positionen der AfD-Landesverbände seien schädlich für die Wirtschaft und gefährdeten den Wohlstand. „Eine Euro- und EU-feindliche Politik, Fremdenfeindlichkeit und Angriffe auf rechtsstaatliche Prinzipien schaden den heimischen Unternehmen, vernichten Arbeitsplätze und führen zu Wohlstandsverlusten in Milliardenhöhe.“
Schwierige Regierungsbildung
Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen nimmt das BSW eine zentrale Position ein, wenn es darum geht, die AfD von einer Regierungsbildung oder Regierungsbeteiligung abzuhalten. Allerdings haben viele Politiker der Union vor der Wahl schon Vorbehalte geäußert. Wie Wählerbefragungen zeigen, findet eine Mehrheit eine Zusammenarbeit der CDU mit dem BSW allerdings gut.
„Denkzettel-Wahl“
Nachwahlbefragungen zeigen, dass vor allem die Haltung der Politik zur Zuwanderung oder zum Krieg Russlands in der Ukraine die Wähler bewegt hat, für AfD und BSW zu stimmen. Explizit werden in beiden Bundesländern auch die Probleme im Bildungssektor, die auf dem Land ausgedünnte Infrastruktur (Krankenhäuser, Ärzte) und die schwierige Wirtschaftslage genannt. Und insgesamt schient eine allgemeine Politikverdrossenheit mit Blick auf die Berliner Ampel-Regierung manche zu einer „Denkzettel-Wahl“ verleitet zu haben.
Während in den Städten und in wirtschaftlich florierenden Räumen die AfD weniger Stimmen holt, kann sie Erdrutschsiege in Wahlkreisen verbuchen, wo die Bevölkerung schrumpft, die Menschen wegziehen und die soziale Infrastruktur immer dünner wird.
Junge Menschen wählen AfD
Gleichwohl zeigen die Befragungen aber auch, dass junge Menschen in Sachsen und Thüringen zwischen 18 und 24 Jahren die AfD stärker gewählt haben als der Durchschnitt. Junge Menschen, so der Generationenforscher Rüdiger Maas, nähmen befeuert durch Social Media die AfD eher als eine Partei wahr, die von anderen stark benachteiligt werde. Der Partei wird von den Wählern inzwischen auch eine hohe Kompetenz für die Migrationspolitik und die Bildungspolitik zugesprochen.
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Leitartikel Seite 2