Anziehende Inflation bewegt Gemüter
ms Frankfurt
Der starke Anstieg der Inflation in Deutschland sorgt weiter für hitzige Diskussionen. Die Bundesregierung versuchte am Freitag, Sorgen vor einer dauerhaft hohen Inflation zu zerstreuen. Der stärkste Anstieg der Großhandelspreise in Deutschland seit der Ölkrise 1974 schürte solche Bedenken. Die Blicke richten sich auf die Europäische Zentralbank (EZB), deren Strategieschwenk auf geteiltes Echo stößt.
Wie weltweit hat auch die Inflation in Deutschland seit Jahresbeginn stärker als erwartet zugelegt. Im Juli erreichte sie 3,8% – der höchste Wert seit 1993. Für den Anstieg sind vor allem Basis- und Sondereffekte verantwortlich, und Bundesbank wie EZB erwarten 2022 eine Normalisierung – weshalb die EZB keine Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik erwägt. Zweifel und Kritik an der Einschätzung einer temporären Entwicklung und am EZB-Kurs nehmen aber zu – zumal angesichts eines starken Preisdrucks auf den vorgelagerten Stufen. Die Bundesregierung erwartet aber keine dauerhaft hohe Teuerung. „Eine nachhaltige Erhöhung der Teuerungsrate ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten“, hieß es im neuen Monatsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums: „Denn aktuell sind keine Anzeichen einer Lohn-Preis-Spirale zu beobachten, die zu dauerhaft hoher Inflation führen kann.“ Eine solche Spirale kommt in Gang, wenn die Löhne wegen drohender starker Kaufkraftverluste ebenfalls angehoben werden und Unternehmen darauf mit neuen Preiserhöhungen reagieren.
Kürzlich hatte Bundesbankpräsident Jens Weidmann gemahnt, das Risiko einer dauerhaft höheren Inflation nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. „Ich werde jedenfalls darauf drängen, auch das Risiko einer zu hohen Inflationsrate genau im Blick zu behalten und nicht nur auf das Risiko einer zu niedrigen Inflationsrate zu schauen“, sagte er. Laut Bundesbank könnte die Teuerung in Deutschland im Jahresverlauf in Richtung 5% gehen.
Destatis meldete am Freitag, dass die Großhandelspreise im Juli im Vergleich zu dem von der Pandemie geprägten Vorjahresmonat um 11,3% stiegen. Ein stärkeres Plus (13,2%) im Jahresvergleich gab es laut Destatis zuletzt im Oktober 1974 während der ersten Ölkrise. Neben den Basiseffekten wegen der Coronakrise spielen auch die Lieferengpässe eine Rolle. In der Eurozone lag die Teuerung im Juli bei 2,2%, und sie dürfte weiter zulegen. Die EZB geht aber bereits für 2022 von niedrigeren Teuerungsraten aus. Sie hat zudem jüngst beschlossen, künftig auch Inflationsraten oberhalb des neuen Ziels von glatt 2% zu tolerieren – zumal nach Jahren mit Teuerungsraten unterhalb dieser Schwelle.
Laut einer aktuellen Studie sind sich Experten unsicher, ob die neue EZB-Strategie die Inflation künftig stärker anschieben wird als bisher. Bei einer Erhebung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) unter 147 Finanzmarktexperten gaben 49% der Befragten an, dass sie ihre Inflationsprognosen für 2021 bis 2023 wegen des EZB-Strategiewechsels nach oben korrigierten. Für 46% hatte der Strategiewechsel keine Auswirkungen auf ihre Prognosen. Etwa 5% erwarteten einen negativen Einfluss. „Die Marktakteure tun sich schwer, die Botschaft der EZB eindeutig zu interpretieren“, sagte ZEW-Wissenschaftler Frank Brückbauer, Co-Autor der Untersuchung.