EZB

Behind the curve

Die EZB hält unbeirrt am Narrativ fest, dass der aktuell starke Inflationsanstieg vorübergehend und folglich kein Grund für eine deutlichere Rücknahme der ultralockeren Geldpolitik sei. Die EZB wirkt damit zunehmend „behind the curve“.

Behind the curve

Die Europäische Zentralbank (EZB) hält unbeirrt am Narrativ fest, dass der aktuell starke Inflationsanstieg vorübergehend und folglich kein Grund für eine deutlichere Rücknahme der ultralockeren Geldpolitik sei – und zeigt sich nahezu unbeeindruckt von allen bösen Überraschungen an der Preisfront und allen gegenteiligen Warnungen. So verständlich das Vertrauen auf die eigenen Analysen auch sein mag, so wenig sollte die EZB so tun, als habe sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. Argumentation und Kurs der EZB muten immer mehr starrsinnig an.

Ausgerechnet am Tag des EZB-Zinsentscheids gab es gleich einige bedenkliche Inflationsnachrichten: In Deutschland kletterte die Teuerung im Oktober in na­tionaler Rechnung auf 4,5% – der höchste Stand seit 1993. In Spanien übertraf sie mit 5,5% – ein 29-Jahres-Hoch – sämtliche Erwartungen. Und die jüngste ESI-Umfrage der EU-Kommission offenbart ein Allzeithoch bei den Verkaufspreiserwartungen der Unternehmen und die höchsten Inflationserwartungen bei den Verbrauchern seit Ende 1992. Die recht einseitige Sicht der EZB auf das Risiko einer mittelfristig zu niedrigen Inflation ist zunehmend aus der Zeit gefallen.

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane argumentiert nun, dass die EZB in der aktuellen Inflationsdebatte ein Gegengewicht bilden müsse. Tatsächlich ist manche Inflationshysterie übertrieben, und so manche Zinswette an den Fi­nanzmärkten erscheint exzessiv. Aber die EZB darf die existenten Inflationsgefahren auch nicht verharmlosen und die Märkte nicht einlullen. Wenn EZB-Chefin Christine Lagarde nun zumindest einräumt, dass die Inflation länger hoch bleibt als zunächst gedacht, ist das auch eine Erinnerung daran, dass sich die EZB-Prognosen in der Vergangenheit nicht immer durch allergrößte Treffsicherheit ausgezeichnet haben. Vorsicht ist auch mit Blick auf Zweitrundeneffekte angebracht. Der Lohndruck mag aktuell noch schwach sein. Das kann sich aber rasch ändern. Und das umso schneller, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass die EZB notfalls bei der Inflation nicht entschieden gegensteuert.

Anders als die EZB wird die US-Notenbank Fed wohl nächste Woche den Startschuss für das Herunterfahren ihrer billionenschweren Anleihekäufe („Tapering“) geben. Und die Bank of England liebäugelt gar offen mit einer Zinserhöhung noch in diesem Jahr. Nun hat Lagarde recht, wenn sie sagt, dass solche Vergleiche hinken. Aber es scheint nun auch nicht so, als unterscheide sich die Lage in den USA und Großbritannien derart fundamental von jener im Euroraum, dass es einen diametral anderen Kurs rechtfertigt. Die EZB wirkt zunehmend „behind the curve“.

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