EZB

Beistandsver­pflichtung

Die EZB hat eine Krisensitzung abgehalten und will sich gegen die steigenden Euro-Renditen stemmen. Bei allem Verständnis für die Euro-Hüter, darin zeigt sich auch das ganze Grundübel der Währungsunion – und es lässt Schlimmes befürchten.

Beistandsver­pflichtung

Die italienische Rendite klettert im Zuge eines breiteren Ausverkaufs bei Euro-Staatsanleihen erstmals seit 2014 wie­der über 4% – und was ist die Folge? Jedenfalls nicht, dass Italiens Pre­mier Mario Draghi vor die Ka­mera tritt und bei Investoren um Vertrauen in eine solide Fiskalpolitik wirbt – garniert mit überfälligen Reformen zur Stärkung der italienischen Wirtschaft. Und auch nicht, dass die Euro-Finanzminister den Schulterschluss su­chen – samt glaubwürdigen Zu­sa­gen zum langfristigen Abbau der zu hohen Staatsverschuldung in vielen Ländern. Stattdessen ist es die EZB, die spontan eine Sondersitzung an­setzt und eine Art Beistandsverpflichtung für Italien & Co. ab­gibt. Darin zeigt sich das ganze Grundübel der Währungsunion – und es lässt Schlimmes befürchten.

Natürlich muss die Europäische Zentralbank (EZB) ein Interesse daran haben, dass die Geldpolitik in allen Ländern möglichst gleichermaßen ankommt. Das erfordert aber keine Nivellierung sämtlicher Renditeunterschiede. Und natürlich kann es der EZB nicht egal sein, wenn es Unruhe an den Finanzmärkten gibt; im Krisenfall muss sie sich sogar gegen exzessive Marktspekulationen stemmen. Eine solche Situation und mithin akuter Handlungsbedarf bestand jetzt aber wohl noch nicht. Zudem sollte die EZB natürlich versuchen zu vermeiden, dass sie mit ihrer Kehrtwende in Richtung geldpolitische Straffung die Euro-Wirtschaft in eben jene Rezession stürzt, die derzeit so mancher befürchtet. Aber auch davon scheint die EZB angesichts historisch negativer Realzinsen weit entfernt. Und längst ist es gerade die hohe Inflation, die die Wirtschaft schwer belastet.

Mit der Sondersitzung jetzt, nicht einmal eine Woche nach der jüngsten Zinssitzung in Amsterdam, schürt die EZB nur Erwartungen an den Märkten, dass es stets zu Interventionen kommt, wenn es einmal etwas unruhiger wird. So lief es schon unter Lagardes Vorgänger Mario Draghi und einst bei der US-Noten­bank unter Alan Greenspan. So wird der berüchtigte „Greenspan-Put“ und „Draghi-Put“ endgültig zum „Lagarde-Put“. Die geldpolitische Normalisierung nach Jahren des absoluten monetären Ausnahmezustands kann jedoch kaum komplett reibungslos gelingen. Schlimmer aber noch: Die EZB verfestigt selbst weiter die Rolle des ewigen Ausputzers im Währungsraum, hinter dem sich Staatschefs und Finanzminister nur allzu gerne verstecken. Das Gegenteil wäre nötig: Das Wichtigste ist jetzt, Wachstumspotenziale zu stärken.

Was die ganze Sache besonders brisant macht: In den vergangenen Jahren war die Inflation im Euroraum sehr niedrig und teils sogar viel zu niedrig, so dass die EZB stets in die Vollen gehen konnte, wenn es irgendwo mal wieder einen Brandherd auszutreten galt. Jetzt aber ist die Situation komplett anders: Die Inflation ist viel zu hoch und sie breitet sich immer gefährlicher in der Wirtschaft aus. Da braucht es klare Worte und Taten, um die Inflationsdynamik zu brechen. Die neuerliche Volte schürt nun nur Vorbehalte, dass die EZB doch mehr Vollkaskoversicherung für die Märkte und die Staaten ist als entschlossene Hüterin von Preisstabilität.

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