EU-Taxonomie

Brüssel lässt sich bei Atom- und Gas-Einstufung nicht beirren

Ungeachtet der zum Teil heftigen Kritik bleibt die Europäische Kommission bei ihrer Ankündigung, Investitionen in die Atomenergie- und Erdgas-Infrastruktur als „nachhaltig“ einzustufen. Die Brüsseler Behörde legte am Mittwoch ihre endgültigen Pläne vor.

Brüssel lässt sich bei Atom- und Gas-Einstufung nicht beirren

ahe Brüssel

Private Investitionen in Atomenergie und Erdgas werden voraussichtlich ab Anfang 2023 unter bestimmten Bedingungen als „grün“ klassifiziert. Die EU-Kommission erzielte am Mittwoch eine „politische Einigung“ über einen entsprechenden delegierten Rechtsakt, der die Taxonomie weiter konkretisiert. Nach Angaben von Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness wurde der Entschluss im Kollegium „mit überwältigender Zustimmung“ getroffen. Offiziell wird der Rechtsakt angenommen, sobald die Übersetzungen in alle EU-Sprachen vorliegen.

McGuinness sprach in Brüssel von einem „weiteren wichtigen Schritt hin zur Klimaneutralität der EU bis 2050“. Hierfür müssten alle verfügbaren Mittel genutzt werden, betonte sie. Es gehe darum, die privaten Investitionen in Übergangstechnologien zu verstärken. Ob Atomenergie oder Erdgas Teil des jeweiligen nationalen Energiemixes bleiben oder werden, bleibe ungeachtet dessen eine Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten, so die Irin.

Der nun angenommene Rechtsakt sieht vor, dass Investitionen in neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie unter anderem Kohlekraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden. Im ursprünglichen Entwurf war die Beimischung von klimafreundlichen Gasen schon ab 2026 vorgeschrieben. Dies hatte aber auch die Bundesregierung abgelehnt, weil dann voraussichtlich noch nicht so viel grüner Wasserstoff verfügbar ist und dieser dann vorrangig in der Industrie – beispielsweise in der Stahlherstellung – benötigt wird.

Neue Offenlegungspflichten

Das Streichen des Zwischenziels für die Gas-Investitionen war eine von nur wenigen Änderungen gegenüber dem bisherigen Entwurf, den die EU-Kommission an Silvester zur Prüfung an die Mitgliedsstaaten geschickt hatte. Bei den Gaskraftwerken blieb es auch bei strengen Emissionsvorgaben, die je Kilowattstunde berechnet werden.

Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt. Auch der Umbau von alten Atomkraftwerken kann als klimafreundliche Investition gelten. Die Nutzung besonderer unfallresistenter Brennstoffe wird allerdings erst ab 2025 vorgeschrieben – anstatt sofort zu gelten, wie im Entwurf geplant war.

Die Atom- und Gas-Entscheidung der Kommission ergänzt einen ersten delegierten Rechtsakt, in dem die Behörde im vergangenen Frühjahr bereits festgelegt hatte, welche Kriterien Wirtschaftsaktivitäten zu erfüllen haben, um zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel beizutragen. Die technischen Kriterien für die übrigen vier EU-Umweltziele folgen noch in diesem Jahr. Der erste delegierte Rechtsakt zur Taxonomie, der am 1. Januar in Kraft getreten ist, bezieht 40% der börsennotierten Unternehmen sowie 80% der direkten CO2-Emissionen in der EU schon mit ein.

Wie angekündigt, werden die Atom- und Gas-Pläne für das Klassifizierungssystem auch von spezifischen neuen Offenlegungspflichten für Unternehmen begleitet, in der diese über ihre Tätigkeiten im Gas- und Kernenergiesektor berichten müssen. Mit Hilfe dieses Schritts sollen Anleger, die nicht in Kernkraft und Gas investieren wollen, zufriedengestellt werden. Die Behörde kündigte an, eine weitere Verschärfung der Offenlegungsregeln zu prüfen. Dabei geht es um Anforderungen an die Finanz- und Versicherungsberatung durch Vertriebsstellen.

Die Kritiker der Brüsseler Taxonomie-Pläne konnte dies nicht beruhigen. Die österreichische Regierung bekräftigte, dass sie dagegen klagen werde. „Wir werden in den nächsten Wochen alle rechtlichen Schritte vorbereiten und dann beim Europäischen Gerichtshof mit einer Nichtigkeitsklage vorgehen“, sagte die grüne Umweltministerin Leonore Ge­wessler. Luxemburg werde sich der Klage anschließen.

„Historischer Fehler“

Auch aus dem EU-Parlament, das den delegierten Rechtsakt noch mit einfacher Mehrheit stoppen könnte, kam fraktionsübergreifend Kritik. „Die Kommission macht einen historischen Fehler“, warnte der Niederländer Bas Eickhout von den Grünen. Damit gebe die EU ihre globale Führerschaft im Bereich Sustainable Finance auf. Der CSU-Finanzexperte Markus Ferber monierte, dass es nur kosmetische Änderungen des bisherigen Entwurfs gebe. „Das Drama um diesen delegierten Rechtsakt zeigt, dass der planwirtschaftliche Ansatz der Europäischen Kommission, jede wirtschaftliche Tätigkeit nach objektiven Kriterien klassifizieren zu wollen, krachend gescheitert ist.“

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