Staatsfinanzen

Bundesbank-Vorstoß zur Reform der Schulden­bremse

Die Bundesbank sorgt sich um die Zukunft der Schuldenbremse und solide Staatsfinanzen. Mit einem umfassenden Reformvorschlag zeigt sie, wie das Instrument zu verbessern ist.

Bundesbank-Vorstoß zur Reform der Schulden­bremse

Von Angela Wefers, Berlin

In die verschiedenen Vorhaben der Ampel-Regierung zur Umgehung und Aufweichung der Schuldenbremse stößt die Bundesbank mit einem Reformvorschlag. Die Novelle soll die Haushaltspolitik verstetigen und die Vorgaben zu fiskalpolitischer Disziplin enger mit den europäischen Regeln des Stabilitätspakts verknüpfen. Dies machen die Experten der Bundesbank im aktuellen Monatsbericht deutlich.

Einen detaillierten Vorschlag legt die Bundesbank zur Reform des Konjunkturbereinigungsverfahrens bei der Schuldenbremse vor. Die Ampel-Regierung hat sich bereits vorgenommen, dieses Verfahren zu überprüfen. Außerdem schlägt die Bundesbank eine Reihe weiterer Punkte vor, die nach der ersten Erfahrung mit der Schuldenbremse in einer Krise die Anpassungsmechanismen nachjustieren sollen. Das Ziel sind weniger abrupte Eingriffe in die Etatplanung und eine Stärkung der antizyklischen Haushaltspolitik.

Reformbedürftige Bremse

Die Schuldenbremse war 2009 mit der Finanzkrise eingeführt worden und hatte im Grundgesetz eine Regelung abgelöst, nach der die Neuverschuldung des Bundes auf die Höhe der Investitionen begrenzt war. Dieses eigentlich sinnvolle Konzept hatte sich in der Praxis durch viele Interpretationsmöglichkeiten als unwirksam für eine solide Haushaltspolitik erwiesen.

Die Schuldenbremse erlaubt der Bundesregierung nun ein kreditfinanziertes strukturelles Defizit von 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dabei wird der Wert in einem aufwendigen Rechenverfahren um eine Konjunkturkomponente bereinigt. Damit soll die Fiskalpolitik antizyklisch wirken. Bei guter Konjunktur schrumpft der fiskalische Spielraum, bei schwacher Lage wird er größer.

Von 2014 an schrieb der Bund eine schwarze Null im Haushalt, bei der es sich in einigen Jahren um satte Überschüsse handelte. Mit der Coronakrise trat erstmals nach der Neuregelung der im Regelwerk vorgesehene Notfall ein: Der Bundestag setzte 2020 die Schuldenbremse aus. Die Neuverschuldung explodierte. 2021 blieb es dabei und 2022 soll es in dem noch zu beschließenden ersten Etat der Ampel so weitergehen. 2023 will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nach eigenem Bekunden die Schuldenbremse wieder einhalten.

Die Ampel hat sich aber als eine ihrer ersten Amtshandlungen 60 Mrd. Euro Kreditermächtigungen für Klimaschutzausgaben noch im Etat 2021 unter der Notfallregelung gesichert. Auf Betreiben der CDU/CSU läuft dagegen eine Verfassungsklage. Auch das angekündigte Sondervermögen Bundeswehr von 100 Mrd. Euro soll kreditfinanzierte Ausgaben für den laufenden Verteidigungsetat an der Schuldenbremse vorbei ermöglichen. Zudem hat die Ampel die Buchungssystematik für die Kreditaufnahme geändert, um den Schein zu wahren, dass die Schuldenbremse hält. Erleichterung will sie überdies durch neue Tilgungspläne schaffen, was Rückzahlungen in die nächste Legislaturperiode verschiebt.

Die Bundesbank summiert die Ausgaben, die der Bund in den nächsten Jahren an der Schuldenbremse vorbei plant, auf 5% des BIP. Das Instrument für solide Staatsfinanzen sieht sie gefährlich geschwächt. „Die Schuldenbremse allein kann bei Ausschöpfen dieser zusätzlichen Kreditspielräume nicht mehr absichern, dass die EU-Vorgaben zum strukturellen Saldo eingehalten werden“, resümiert die Notenbank.

Die Bundesbank regt an, das Verfahren zur Konjunkturbereinigung in der Schuldenbremse so zu ändern, dass revidierte Schätzungen zeitverzögert in der Haushaltsplanung zu berücksichtigen sind. Schätzrevisionen beim Produktionspotenzial oder bei den Steuereinnahmen führen demnach aktuell zu einer sprunghaften Finanzpolitik. Ein zusätzliches Problem bestehe bei Gewinnsteuern von Unternehmen, die stark mit der Konjunktur schwanken.

Heilsame Verzögerung

Die Bundesbank schlägt vor, die bisherige Konjunkturkomponente beizubehalten und durch eine Fehlerkomponente zu ergänzen. Letztere soll zeitversetzt greifen: Schlagen Schätzkorrekturen bislang voll auf die Etatplanung durch, sollen sie künftig gestreckt werden dürfen. Dies führt zu einer schrittweisen Anpassung. Die Bundesbank hat dabei den Horizont der mittelfristigen Finanzplanung von vier Jahren im Auge. Je weiter die Planung weg ist, desto stärker muss die Fehlerkorrektur berücksichtigt werden.

Wichtig ist der Bundesbank, dass die neue Fehlerkomponente symmetrisch angewendet wird. Auf-und Abwärtsrevision müssen sich über die Zeit ausgleichen. In der Spitze laufen dem Vorschlag zufolge in einer rückwirkenden Beispielrechnung seit 2006 (siehe Grafik) mehr Schulden auf – fast 4% des BIP. Dies sind drei Prozentpunkte mehr als im aktuellen Verfahren. „In beiden Verfahren überwiegen im Anschluss die Überschüsse“, betont die Bundesbank. Deshalb bauten sich die Schulden wieder ab und es stünde jeweils Guthaben zu Buche.

Über die Reform der Konjunkturbereinigung hinaus schlägt die Bundesbank weitere Änderungen vor, um die Haushaltspolitik weniger volatil zu machen. So sollen die Agien und Disagien bei der Emission von Bundesanleihen über die gesamte Laufzeit des Wertpapiers periodengerecht verteilt werden. Aktuell werden sie zum Zeitpunkt der Emission verbucht und von den Zinsausgaben abgezogen.

Wegen des Übergewichts von Agien in der jüngeren Vergangenheit habe sich der Kreditspielraum unter der Schuldenbremse dadurch erhöht, bemerkt die Bundesbank. Sie rät dazu, die Verbuchung von Zinsausgaben auch für frühere Perioden anzupassen, weil dies auf die heutige Haushaltsentwicklung ausstrahle.

Guthaben auf dem sogenannten Kontrollkonto könnten der Bundesbank zufolge mit den Notlagenkrediten verrechnet werden, die während der Coronakrise über das Limit der Schuldenbremse hinaus aufgenommen worden sind.

Das Guthaben liegt bei 48 Mrd. Euro und hat sich in den Jahren angesammelt, in denen das Limit der Schuldenbremse unterschritten wurde. Entsprechend würden die Tilgungsverpflichtungen sinken, die bei Notlagenkrediten obligatorisch sind. Nach dem aktuell geltenden Tilgungsplan würde damit die jährliche Belastung von 3,5 Mrd. Euro auf 1 Mrd. Euro sinken, schreibt die Bundesbank.

Näher an EU-Schuldenregeln

In Anlehnung an die europäische Schuldenregel regt die Bundesbank eine moderate Ausweitung des Verschuldungsspielraums an. Bei einer Schuldenstandsquote zum BIP von unter 60% könne der Verschuldungsspielraum wie nach EU-Regel auf 1% steigen. Bei einem Schuldenstand von mehr als 60% könne der Spielraum von 0,35% auf den europäischen Wert von 0,5% leicht ausgeweitet werden. „Solide Staatsfinanzen wären nicht gefährdet, wenn die Schuldenbremse sich enger an den numerischen europäischen Vorgaben orientiert“, schreibt die Bundesbank.

Bundesfinanzminister Lindner rechnet damit, dass die Marke von 60% beim Schuldenstand nach den Jahren der hohen Verschuldung zum Ende des Jahrzehnts wieder erreicht sein wird. Damit könnte aus Sicht der Bundesbank auch ein Erlöschen der Tilgungsverpflichtung aus den Notlagenkrediten verbunden werden.

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