China geht auf Nummer sicher
nh Schanghai
Zum Auftakt des nationalen Volkskongresses hat Premierminister Li Keqiang bei der Vorstellung des sogenannten Arbeitsberichts der Regierung eine kleine Überraschung verkündet. China kehrt nach einjähriger Unterbrechung zur tradierten Wachstumszielsystematik zurück, setzt aber eine denkbar bescheidene Marke bei mindestens 6%. Die meisten Experten hatten damit gerechnet, dass die Regierung entweder grundsätzlich nur noch langfristige Wachstumsziele setzen würde oder aber wie in der Vergangenheit mit relativ strammen jährlichen Wachstumsvorgaben den Wirtschaftslenkungsapparat auf Trab zu halten versucht.
Unter China-Ökonomen ist man sich praktisch einig, dass Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach der deutlichen Tempoverlangsamung im Coronajahr 2020 allein schon wegen der statistischen Basiseffekte in diesem Jahr deutlich kräftiger anziehen wird. Die Konsensschätzung der Analysten läuft gegenwärtig auf eine BIP-Expansion von 8,4% hinaus (siehe Grafik) – und liegt damit deutlich oberhalb des offiziellen Ziels. Nach einem massiven Konjunktureinbruch im ersten Quartal 2020 konnte sich Chinas Wirtschaft dank einer raschen Bewältigung der Corona-Epidemie zügig wieder erholen und kam mit einem BIP-Zuwachs von letztlich 2,3% als einzige unter den Volkswirtschaften der G20-Staatengruppe überhaupt auf ein positives Wachstum.
Stimuli zurückfahren
Zuletzt ist Chinas Wirtschaft im vierten Quartal um 6,5% gewachsen und hat damit wieder Dynamikwerte auf Vorkrisenniveau erreicht. Peking dürfte daher die Zeit gekommen sehen, die wegen der Coronaproblematik erforderlichen Stimulierungsmaßnahmen graduell wieder zurückzufahren und sich einer etwas konservativeren Fiskalpolitik zu verschreiben. Premierminister Li gab am Freitag eine Zielmarke für das Budgetdefizit im laufenden Jahr bei 3,2% des BIP aus, nachdem dieses im vergangenen Jahr auf eine Rekordmarke von 3,6% hochgefahren worden war. Bei den Analysten hatte man allerdings mit einem noch strafferen diesjährigen Budgetdefizitziel von nur 3% gerechnet.
Die Regierung dürfte aber mehr Gewicht auf den Arbeitsmarkt legen, da die Schaffung von Arbeitsplätzen wichtig für die soziale Stabilität und den Binnenkonsum ist, heißt es etwa von China-Analysten der Commerzbank. Im Jahr 2020 waren die verfügbaren Pro-Kopf-Ausgaben preisbereinigt um 4% gesunken, was im Zusammenhang mit einem niedrigeren Einkommenswachstum die noch immer manifeste Zurückhaltung der Verbraucher im Reich der Mitte erklärt. Im Arbeitsbericht der Regierung wird das Ziel einer Schaffung von mehr als 11 Millionen neuen Arbeitsplätzen in urbanen Gebieten ausgegeben, im Vorjahr lag die Vorgabe bei 9 Millionen Stellen. Damit soll die Arbeitslosenquote bei etwa 5,5% stabilisiert werden.
Finanzstabilität im Fokus
Li hob in seiner Rede auch explizit auf wachsende Verschuldungsgefahren und Finanzstabilitätsrisiken ab, wobei die Regierung angesichts der neuen Preissteigerungswellen bei Wohnimmobilien vor allem auf restriktivere Immobilienfinanzierungsbedingungen abstellen dürfte. Insgesamt soll das Kreditwachstum in etwa auf Höhe des nominalen BIP-Wachstums gehalten werden, was einer für chinesische Verhältnisse sehr maßvollen Expansion entsprechen würde.
Der Verweis auf Finanzstabilitätsgefahren spricht auch für eine tendenziell weniger akkommodierende Geldpolitik. Allerdings hatte sich China im Vergleich zu westlichen Ländern bereits während der Coronakrise mit monetären Stimuli deutlich zurückgehalten.
Wertberichtigt Seite 6