China kriegt die Kurve nicht
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Chinas Wirtschaftsplaner dürften dem in wenigen Tagen beginnenden jährlichen Volkskongress mit einigem Missmut entgegenblicken. Am Samstag wird Premierminister Li Keqiang zum Kongressauftakt den Wirtschafts- und Arbeitsbericht der Regierung vorlegen, in dessen Rahmen dann auch eine Festlegung für das diesjährige Wachstumsziel sowie eine Reihe anderer wirtschaftlicher Zielgrößen erfolgen muss. China hat im vergangenen Jahr wegen statistischer Basiseffekte der anfänglichen Pandemie-Erholung zwar ein ungewöhnlich flottes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 8,1% verzeichnen können, muss im neuen Jahr allerdings befürchten, unter die bislang als Komfortgrenze geltende Marke von 6% zu rutschen.
Eingetrübte Prognosen
Bislang geben die staatlichen chinesischen Thinktanks die Parole aus, dass die chinesische Wirtschaft im Zuge gezielter fiskalischer und geldpolitischer Stimuli problemlos auf ein Wachstum von 5,5 bis 6% für das Jahr 2022 kommen sollte. Die China-Ökonomen der führenden globalen Investmentbanken aber beginnen, ihre Wachstumsprognosen diskret zurückzuschrauben, so dass man im Basisszenario meist nur noch bei etwa 5% liegt, während sich die Abwärtsrisiken verstärken. Dabei setzt sich immer mehr die Auffassung durch, dass die bislang versprochenen fiskalischen Stimuli und bereits erfolgten geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen bei weitem nicht ausreichten, um eine rasche Konjunkturwende zu erzielen.
Die von Peking ausgegebene Losung, dass sich im Jahr 2022 von Beginn an ein signifikanter Aufschwung einstellen dürfte, wird von Markterwartungen konterkariert. Die Medianprognose für das BIP-Wachstum im ersten Quartal läuft auf 4,3% hinaus (siehe Grafik). Das wäre zwar ein leichter Fortschritt gegenüber dem Schlussquartal 2021 mit 4% Wachstum, aber alles andere als ein Befreiungsschlag in Richtung einer Rückkehr zu einem „Normalwachstum“ nahe bei 6%.
Chinas florierende Exportwirtschaft konnte bislang einige Ermüdungserscheinungen im Industriesektor übertünchen, aber die Experten rechnen damit, dass sich die Außenhandelsdynamik in diesem Jahr wieder etwas abschwächen dürfte – wobei die neue Situation mit etwaigen Handelsbehinderungen durch den Ukraine-Konflikt noch nicht berücksichtigt ist. Was die zuletzt deutliche Erlahmung der Konsumkräfte angeht, dürften verstärkte geopolitische Unsicherheiten das Verbrauchervertrauen eher zusätzlich belasten, während die Belastungen durch Chinas Corona-Nulltoleranzpolitik weiter ein Thema bleiben. Hinzu kommt als offensichtliche Schwachstelle die Wohnungsbauwirtschaft.
China hat die Überschuldungsprobleme bei Immobilienentwicklern vom Schlage der China Evergrande Group bislang keineswegs in den Griff bekommen. Somit droht die Zurückhaltung der Käufer am Wohnungsmarkt und das damit eng verbundene Abbröckeln der Anlageinvestitionen im Immobiliensektor noch länger anzuhalten und der vom Immobiliengeschehen stark geprägten Wirtschaft einiges an Dynamik zu rauben. Die bislang vorliegenden Daten aus dem neuen Jahr weisen zumindest daraufhin, dass sich die Delle bei den Wohnungsverkäufen und Neubaustarts noch nicht geglättet hat, während andere Indikatoren zur Baukonjunktur erschreckend schwach ausfallen.