„Da helfen auch die besten Zinssenkungen nicht“
Im Interview: Alexander Krüger
„Da helfen Zinssenkungen nicht“
Ökonom erwartet wenig Wachstumsimpulse für die Euro-Wirtschaft durch die Geldpolitik
Die EZB ist nach Ansicht von Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, bei der wirtschaftlichen Entwicklung zu optimistisch – und die Auswirkungen von Zinssenkungen auf die Konjunktur würden viele überschätzen.
Herr Krüger, Sie erwarten wie die meisten Ökonomen die nächste Zinssenkung der EZB im Dezember. Für wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass es doch bereits im Oktober zu einer weiteren Lockerung kommt?
Sehr gering, 5 bis 10% vielleicht. Die EZB hat gestern keinerlei Hinweise für Oktober gegeben, weder in der Kommunikation, noch über die Projektionen. Die Notenbank bleibt trotz der leichten Revision nach unten beim Wirtschaftswachstum optimistisch. Zudem hat Lagarde darauf hingewiesen, dass der erwartete Inflationsrückgang im September wegen statistischer Effekte nicht überbewertet werden sollte.
Was müsste denn passieren, damit dies dennoch eintritt? Bis zur Oktober-Zinssitzung sind es ja nur noch einige Wochen und der erwartete Inflationsrückgang im September ist für die EZB nach Lagardes Aussagen wohl kein Argument für eine Lockerung der Geldpolitik.
Es müsste eine unvorhersehbare, krisenhafte Entwicklung über uns hereinbrechen. Ansonsten dürfte es eine Zinssenkung im Oktober nicht geben.
Die Wahrscheinlichkeit einer Zinspause im Dezember haben Sie in einer Analyse am Donnerstag auf immerhin 20% beziffert. Weshalb?
Wir sehen eine Entspannung bei der Inflation, aber noch keine Preisstabilität. Der Lohnanstieg liegt deutlich über der Produktivitätsentwicklung. Insofern besteht Potenzial, dass die Unternehmen ihre höheren Kosten auf die Kunden überwälzen, was die Inflation verstärkt. Zudem erwarte ich, dass die EZB-Ratsmitglieder nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre, in denen sie den Inflationsanstieg etwas unterschätzt haben, nun bei der Lockerung der Geldpolitik vorsichtig vorgehen werden. Dennoch: Angesichts der absehbar schwierigen konjunkturellen Entwicklung ist unser Basisszenario eine Zinssenkung im Dezember.
Die EZB erwartet ein beständiges Über-Trend-Wachstum. Ich frage mich, wo das herkommen soll.
Alexander Krüger
Kommen wir zu den neuen EZB-Prognosen. Diese hat die Notenbank beim Wirtschaftswachstum zwar leicht gesenkt, bleibt aber dennoch recht optimistisch. Zu optimistisch?
Ich denke ja, vor allem mit Blick auf das kommende Jahr. Die EZB erwartet ein beständiges Über-Trend-Wachstum. Ich frage mich, wo das herkommen soll. Die Stimmungsindikatoren zeigen das nicht an. Die Verbraucher sind massiv verunsichert und halten sich mit dem Konsum zurück, nicht nur in Deutschland. Die Arbeitsmarktperspektiven in Deutschland trüben sich ein. Und bei den Unternehmensinvestitionen erleben wir auch eine Flaute. Daher erwarte ich, dass die EZB ihre Wachstumsprojektion im Dezember erneut senken wird, was ebenfalls für eine Zinssenkung bei dieser Sitzung spricht.
Zinssenkungen sollen der Euro-Wirtschaft nach der Argumentation einiger Notenbanker und Ökonomen wieder auf die Beine helfen. Doch ist der Effekt überhaupt so groß? Schließlich gibt es ja auch viele strukturelle Probleme, die für die Wachstumsschwäche verantwortlich sind.
Absolut, ich schätze, dass die strukturellen Probleme für mehr als die Hälfte der Wirtschaftsschwäche verantwortlich sind. Unternehmen und Verbrauchern fehlt es derzeit an Zuversicht und Planungssicherheit. Da helfen auch die besten Zinssenkungen nicht. Die Wirtschaftspolitik der Ampelregierung verunsichert Unternehmen und Verbraucher, sodass diese sich mit Investitionen und Konsum zurückhalten.
Was müsste denn die Politik tun, um die Stimmung bei den Haushalten und Unternehmen zu verbessern?
Es braucht vor allem eine planbare Wirtschaftspolitik. Dazu rate ich der Ampelregierung, die Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahre aufmerksam zu lesen und Dinge davon umzusetzen. Außerdem sollte die Wirtschaftspolitik weniger ideologisch sein. Klimaschutz ist wichtig, das ist nicht zu bestreiten. Wir haben in unserem Land aber auch andere gewichtige Probleme, um die sich die Regierung stärker kümmern sollte, etwa bei der inneren Sicherheit, der Verteidigungsfähigkeit und in den Sozialsystemen.
Draghi hat zu Recht ein Investitionsproblem in Europa festgestellt.
Alexander Krüger
Mario Draghi hat in seinem Bericht an die EU-Kommission gemeinsame europäische Schulden für mehr Investitionen ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?
Draghi hat zu Recht ein Investitionsproblem in Europa festgestellt. Aber sein Vorschlag der gemeinsamen europäischen Schulden brächte in der Praxis einige Probleme mit sich. Zum Beispiel Verteilungskämpfe, wo in der EU mit den Geldern investiert werden soll. Zudem wäre sicherzustellen, dass die Investitionen auch dort ankommen, wo sie sollen. Ich wäre daher dafür, dass die europäischen Staaten stattdessen ihre Haushalte nach Kürzungspotenzial durchforsten. Dann gäbe es auch mehr Mittel für Investitionen. Dass es dazu kommt, halte ich aber für sehr unwahrscheinlich.
Schauen wir in die USA. Hat es einen Einfluss auf die Geldpolitik der EZB, ob die Fed am Mittwoch den Leitzins um 25 oder doch um 50 Basispunkte senkt?
Ich denke nicht, dass das einen Einfluss auf die EZB haben wird. Sie agiert in ihrer Geldpolitik unabhängig und schaut dabei auf die Wirtschafts- und Inflationsdaten im Euroraum. Große Auswirkungen auf den Euro-Dollar-Wechselkurs erwarte ich ebenfalls nicht.
Bis zu den US-Präsidentschaftswahlen ist es auch nicht mehr so weit hin. Könnte sich der Ausgang der Wahlen auf die Inflation im Euroraum auswirken, Stichwort protektionistische US-Handelspolitik?
Die Wirtschaftspolitik Donald Trumps würde wohl deutlich protektionistischer sein als die von Kamala Harris. Sollte Trump die Wahl gewinnen und sollten zudem die Republikaner die Mehrheit im Kongress erringen, dürfte das die Inflation eher steigern. Den Ausgang beider Wahlen halte ich allerdings für völlig offen. Eine Prognose ist deshalb schwierig.
Das Interview führte Martin Pirkl.
Das Interview führte Martin Pirkl.