„Das ist politischer Sprengstoff“
Clemens Fuest, Präsident Ifo-Institut:
„Soweit ich es überblicke, hat die konzertierte Aktion zu keinen konkreten Ergebnissen geführt. Das ist nicht überraschend. Das Instrument der konzertierten Aktion kann geeignet sein, eine Lohn-Preis-Spirale zu bekämpfen. Eine solche Lohn-Preis-Spirale ist zumindest bislang in Deutschland noch nicht sichtbar. Die Inflation hat andere Ursachen. Wenig überzeugend ist die Freistellung von Einmalzahlungen von Steuern und Abgaben. Wenn es darum geht, Steuern und Abgaben allgemein zu senken, sollten alle Steuer- und Abgabenzahler davon profitieren, nicht nur die, die zufällig Einmal- oder Sonderzahlungen erhalten. Es besteht auch kein Grund, die Entlohnung in Form von Einmalzahlungen zu subventionieren. Wenn diese Subvention das einzige Ergebnis der Konzertierten Aktion ist, dann war sie kontraproduktiv.“
Marcel Fratzscher, Präsident DIW Berlin:
„Die konzertierte Aktion ist eine gute und richtige Initiative des Bundeskanzlers. Dabei darf es nicht nur um die Frage gehen, wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglichst viel zu einer wirtschaftlichen Entlastung beitragen können. Sondern auch Unternehmen müssen ihren Beitrag leisten und sich an den hohen sozialen Kosten der Inflation beteiligen. Die Bundesregierung kann mit einem überzeugenden Entlastungspaket für Menschen und Unternehmen eine wichtige Rolle in den Verhandlungen spielen. Die steuerliche Befreiung bei Einmalzahlungen kann nicht der wichtigste Beitrag der Bundesregierung sein. Denn diese werden eher Besserverdienenden zugutekommen und die Menschen, die am meiste Unterstützung benötigen, werden dabei in zu vielen Fällen leer ausgehen.
Die Inflation wird auch über das kommende Jahr in Deutschland zu hoch bleiben und die soziale Polarisierung in der Gesellschaft weiter verschärfen. Die EZB kann selbst mit einer noch viel stärkeren Zinserhöhung auf absehbare Zeit nur wenig an der Inflation verändern, da diese zum allergrößten Teil importiert ist. Eine expansive Finanzpolitik, die Strom- und Gaspreise reduzieren hilft, ist ein weiterer wichtiger Beitrag der Bundesregierung, um sowohl die Inflation zu reduzieren und um Insolvenzen bei Unternehmen und eine tiefere Rezession zu verhindern.“
Michael Hüther, Präsident IW Köln:
„Die konzertierte Aktion kann dann funktionieren, wenn die drei Politikakteure – Lohnpolitik, Finanzpolitik und Geldpolitik – gemeinsame Orientierungen über mögliche Maßnahmen zur Stabilisierung des Preisniveaus, wechselseitig das Verständnis über die Bedingungen und Herausforderungen des jeweils anderen verbessern, aber Verantwortlichkeiten nicht vermischt werden. Der Vorschlag, Sonderzahlungen bis 3000 Euro steuer- und abgabenfrei zu stellen, kann helfen, eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern oder das Risiko deutlich einzudämmen. Es kommt jetzt auf die Tarifvertragsparteien an, das angemessen in Lohnabschlüssen zu berücksichtigen und betriebliche Freiräume dafür zu eröffnen. Die Finanzpolitik hat neben den verschiedenen Maßnahmen zu Unterstützung besonders belasteter privater Haushalte nun dringlich zu klären, wie sie Unternehmen – vor allem KMU – bei der Belastung durch Energiekosten schnell und liquiditätswirksam unterstützt. Dabei kann die nun an eine Experten-Kommission delegierte Frage, wie das Gaspreis nachhaltig gesenkt werden kann, auch für die Unternehmen eine wichtige Perspektive eröffnen. Der extrem hohe Gaspreis in Europa belastet nicht nur die aktuell die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen, sondern gefährdet über immer attraktiver werdender Verlagerungen in die USA oder nach China auch den deutschen Standort. Die (europäische) Geldpolitik hat richtigerweise, wenn auch zu spät, die Politik der Nullzinsen und der unkonventionellen Maßnahmen beendet. Die beiden Zinsschritte waren angemessen, wenngleich sie kurzfristig nur über den Wechselkurs und die Stabilisierung der Inflationserwartungen gegen die Inflation wirkt. Weitere Zinsschritte werden folgen, dürfen aber das Dilemma der EZB angesichts importierter, von ihr nicht zu kontrollierender Teuerung nicht verkennen. Die Notenbank sollte nicht das Risiko eingehen, eine Stabilisierungsrezession auszulösen. Trotz weiterhin hoher Inflation jedenfalls im ersten Halbjahr sollten die Notenbankzinsen bei 2,5% ein angemessenes Niveau erreichen.“
Volker Wieland, Wirtschaftsprofessor Universität Frankfurt und Ex-Wirtschaftsweiser:
„Wir haben Rekordinflation und damit einen Rekord an Kaufkraftverlust. Da ist es absolut verständlich, dass Bürger einen Ausgleich fordern. Das ist politischer Sprengstoff, insofern ist es auch verständlich, dass sich der Bundeskanzler als Helfer positioniert und eine konzertierte Aktion einberuft. Ergebnis ist, wenig überraschend: Die Bundesregierung soll ein großes Scherflein beisteuern; da sind sich Arbeitgeber und Gewerkschaften einig und der Kanzler willig. Der Transfer, wie etwa eine steuerfreie Einmalzahlung, wird über Staatsschulden finanziert, ggfs kurzfristig zu Zinsen, die dank Notenbank noch weit unter der Inflationsrate liegen und somit dazu beitragen, dass uns die Inflation erhalten bleibt. Dadurch, dass man mehr digitales Geld schafft und verteilt, hält man den Kaufkraftverlust dieses Geldes nicht auf.
In der aktuellen Situation sind allerdings Preis-Lohn-Preis Effekte, also gewisse Lohnerhöhungen, die wiederum über Preiserhöhungen an die Verbraucher weitergegeben werden, kaum vermeidbar. Den Mechanismus der fortgesetzten Inflation hält die Regierung durch Zuzahlungen nicht auf, sondern verstärkt ihn wahrscheinlich noch. Am besten wäre, sie hielte sich raus. Dann würden die Tarifverhandlungen dazu führen, dass dort, wo Arbeitskräfte knapp und hoher Mehrwert erwirtschaftet wird, die Löhne steigen. An anderer Stelle würde man aber einsehen müssen, dass sich die relativen Preissteigerungen für Energie und Vorprodukte und der Anstieg der Inflation, nicht vollständig kompensieren lassen.
Raushalten will sich unser Bundeskanzler aber keinesfalls, hat doch schon die politische Erhöhung des Mindestlohns um mehr als 20%, zum Wahlsieg im letzten Jahr beigetragen.
Fatal wäre aber vor allem, wenn die Tarifabschlüsse gleich weiterhin anhaltend hohe Inflationsraten in kommenden Jahren kompensieren wollten, weil das Vertrauen verloren ist, dass die Notenbank die Inflation wieder auf 2% zurückführt. Aber da ist die EZB gefordert.
Die „historische“ Entscheidung der EZB, den für den Geldmarkt relevanten Einlagezins auf 0,75% anzuheben, reicht noch lange nicht, um die Inflationserwartungen, die weit darüber liegen, wieder einzufangen. Selbst wenn die EZB die Zinsen, wie derzeit von den Finanzmärkten erwartet, bis nächstes Jahr auf 2,5% anhebt, ist es fraglich, ob das reichen würde, denn die reale Verzinsung wäre dann immer noch negativ, und die Geldpolitik würde die Nachfrage stützen.“
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank:
„Die Steuerbefreiung einmaliger Lohnzahlungen kann bei den anstehenden, schwierigen Tarifverhandlungen helfen, den Anstieg der Lohnkosten etwas zu dämpfen. Aber auf Dauer sollte der Staat Tarifabschlüsse nicht subventionieren. Von einer Expertenkommission zum Bremsen der hohen Energiekosten sollte man nicht viel erwarten. Am Ende wird es eine politische Entscheidung sein, ob zum Beispiel die Kernkraftwerke länger betrieben werden. Alles in allem dürfte eine konzertierte Aktion nur einen begrenzten Einfluss auf die Lohnabschlüsse und die Inflation haben. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind nämlich zunächst ihren Mitgliedern verpflichtet.
In der langen Sicht sind ohnehin nicht die Tarifvertragsparteien für die Inflation verantwortlich, sondern die EZB. Die hat zum Glück erkannt, dass sich die langfristigen Inflationserwartungen der Bürger aus der Verankerung lösen und dass das zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden droht. Insofern ist es gut, dass die EZB ihren Leitzins zuletzt mit einem Schlag um 75 Basispunkte erhöht hat. Allerdings sind die Schätzungen der EZB für das neutrale Leitzinsniveau, das langfristig für 2% Inflation sorgen soll, zu niedrig. Außerdem ist fraglich, ob die EZB ihren Zinserhöhungsprozess fortsetzt, wenn der Euroraum in eine Rezession abgleitet. Die Inflation dürfte in den kommenden Jahren im Durchschnitt deutlich über 2% bleiben.“