Britische Konjunktur

Denkfabrik fordert Reformen

Das Nationale Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung NIESR zeigt sich deutlich pessimistischer zu den Wachstumsaussichten der britischen Wirtschaft als die Bank of England oder andere und fordert daher energisch Reformen

Denkfabrik fordert Reformen

hip London

Das Nationale Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung NIESR hat sich deutlich pessimistischer zu den Wachstumsaussichten der britischen Wirtschaft geäußert als Bank of England, Internationaler Währungsfonds und die Industrieländerereinigung OECD und fordert Reformen. „Eine veränderte Herangehensweise an die Fiskalpolitik war noch nie so dringend wie heute“, heißt es im Frühjahrsgutachten unter Verweis auf große Ungleichgewichte im Vereinigten Königreich. Bei der Vorstellung ihrer Prognosen verwiesen die Volkswirte der renommierten Denkfabrik immer wieder auf die anhaltende Ungewissheit über den Verlauf der Pandemie.

Sie erhöhten zwar ihre Schätzung für das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr von 3,4% auf 5,7%, blieben jedoch deutlich unter den Erwartungen anderer Auguren. Die Bank of England hat ihre Prognose von 5% auf 7,25% erhöht. Mit Blick auf die einzelnen Quartale zeigt sich, dass NIESR von einer rasanten Erholung im laufenden Quartal ausgeht, die im weiteren Jahresverlauf schnell wieder an Schwung verliert (siehe Grafik). Die unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie dürften zwar nachlassen, doch werden sich dann die langfristigen Auswirkungen des britischen EU-Austritts bemerkbar machen – und zwar in Branchen, die von Covid-19 vergleichsweise wenig betroffen waren.

Höhere „permanente Kosten“

Wie die stellvertretende NIESR-Direktorin Hande Kücük ausführte, wird Großbritannien höhere „permanente Kosten“ der Pandemie zu schultern haben als andere führende Volkswirtschaften. Das Bruttoinlandsprodukt wird nach Berechnungen des Thinktanks 2025 um 4% niedriger sein als bisher angenommen. Pro Kopf seien das 1350 Pfund weniger. Damit falle das Land weiter hinter Deutschland und die Vereinigten Staaten zurück. Die Arbeitslosigkeit werde bis zum Ende dieses Jahres auf 6,5% steigen. Für 450000 Menschen, die derzeit noch für das Coronavirus Job Retention Scheme (CJRS) registriert sind, die britische Variante der Kurzarbeit, werde es keinen Arbeitsplatz mehr geben, an den sie zurückkehren könnten. In Dienstleistungsbranchen wie dem Gastgewerbe könnten weitere 190000 Stellen verloren gehen.

Adrian Pabst, ebenfalls stellvertretender Direktor der Denkfabrik, sagte, wenn sich nichts ändere, könnten andere Regionen nicht – wie von der Regierung angestrebt – den Abstand zu London und dem wohlhabenden Südosten verringern. Covid-19 und eine ungleichzeitige Erholung verstärkten die Ungleichheiten, die bereits vor der Pandemie bestanden haben. Für die meisten Regionen werde es vor dem zweiten Quartal 2023 keine Rückkehr zum vor der Pandemie erreichten Niveau geben. In Schottland und dem englischen Norden und Südwesten dürften Jugendarbeitslosigkeit und Jugendarmut steigen, „wenn es nicht zu ein paar starken Interventionen kommt“, sagte Pabst. „Wir müssen intensiv darüber nachdenken, wie wir diese tiefsitzenden strukturellen Probleme lösen.“ Wenn das CJRS auslaufe, seien Umschulungsmaßnahmen und andere Arbeitsmarktmaßnahmen erforderlich. Wichtig sei eine gemeinsame Herangehensweise, kein Vorgehen der einzelnen Organisationen in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich.

Kücük kritisierte „die Ungewissheit über die Richtung und die Instrumente der Geldpolitik“ der Bank of England. „Wir brauchen mehr Klarheit darüber, was der nächste Schritt sein wird.“ NIESR rechnet damit, dass die Sparquote über dem historischen Durchschnitt bleiben wird, weil die Unsicherheit rund um die Pandemie anhält. Bei der Bank of England geht man dagegen davon aus, dass die Sparquote darunterliegen wird.