Der Bundesbankpräsident fährt Vespa
Von Stefan Reccius und Mark Schrörs, Frankfurt
Die Arbeiten am digitalen Euro laufen an diesem Freitagnachmittag in ungewohntem Ambiente ab. Neben Alexander Merkel, dem Spezialisten der Bundesbank für die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs, steht ein offener Werkzeugkoffer, an der Wand ein Regal mit Muttern und Schrauben. In der Ecke parkt ein Gabelstapler. Kabel und Spanngurte hängen von der Decke. Irgendwann sagt Alexander Merkel entschuldigend in die Runde: „Ich habe viele offene Fragen für Euch, aber keine Antworten.“
Das trifft – nun ja – den Nagel auf den Kopf, wenn es um das Projekt der Europäischen Zentralbank (EZB) für einen digitalen Euro geht. Anders verhält es sich mit „Euro20+“, einer 2019 ins Leben gerufenen Veranstaltungsreihe für junge Erwachsene mit einem Faible für Geldpolitik und das Finanzsystem. Die Bundesbank richtet sie an diesem Freitag und Samstag zum vierten Mal aus. Alexander Merkels Workshop zum digitalen Euro ist einer von vielen. Auch Bundesbankchef Joachim Nagel bekommt in einem ungewohnten Format einen Auftritt.
Als „Highlight des Tages“ kündigt Moderator Louis Klamroth am Nachmittag die auf zwei Stunden angesetzte „Town Hall“ mit Nagel an und sagt, dass alle Fragen erlaubt seien – „weil Nagel alles weiß“. Im feinen Anzug, aber ohne Krawatte steht der 55-Jährige schließlich vor den Teilnehmern und betreibt erst einmal Erwartungsmanagement. „Ich weiß ganz sicher nicht alles. Ich weiß vieles überhaupt nicht“, sagt er.
Das Interesse richtet sich erst einmal darauf, wie Nagel Bundesbankchef geworden ist und wie sein Tag so aussieht. Locker und offen erzählt Nagel, wie er nach einem Treffen mit Kanzler Olaf Scholz Mitte Dezember in Berlin „ein nass geschwitztes Hemd“ gehabt habe – und das Gefühl, dass es „eher so semi gelaufen“ sei. Wie er sich mitunter selbst manchmal kneifen müsse: „Bundesbankpräsident hört sich schon wichtig an.“ Und wie er auch als Bundesbankchef morgens vor der Arbeit auf seine Vespa steigt, um beim Bäcker Brötchen für die Familie zu holen, wenn er „Strohwitwer“ ist.
Dann aber sind es doch die harten Sachthemen, die die Teilnehmer interessieren: Ukraine-Krieg, Cybersicherheit, Schattenbanken. Vor allem aber ist da natürlich die hohe Inflation und die Reaktion der Europäischen Zentralbank (EZB). Nagel betont einmal mehr, dass er dafür ist, dass auch die EZB schon im Juli die Zinswende einleitet und erstmals ihren Leitzins anhebt. Beim Thema Klimaschutz gerät er dann „ins Schwitzen“, wie er selbst einräumt. Immer wieder gibt es kritische Fragen, warum die Zentralbank nicht mehr für den Klimaschutz tue. Nagel verteidigt Bundesbank und EZB („die Zentralbanken sind schon deutlich grüner geworden“) – und er warnt vor überzogenen Erwartungen: „Der Markt für grüne Anleihen gibt noch gar nicht so viel her.“
Rund 80 Interessierte haben diesmal den Weg in ein Gewerbegebiet im Frankfurter Osten gefunden, in die „Tatcraft“: eine Projektentwicklungsagentur mit Industriecharme. In den Werkshallen tüfteln sonst an Werkbänken und 3D-Druckern Start-ups an Prototypen.
Auch beim digitalen Euro ist genau dies ein wichtiges Ziel der Tüftler in EZB und Bundesbank: Sie wollen eines nicht allzu fernen Tages Banken und Finanzdienstleister einbeziehen, um einen digitalen Zwilling der Gemeinschaftswährung zu programmieren. Einen Prototyp. So erzählt es Alexander Merkel den etwa zwei Dutzend Teilnehmern seines Workshops. Unterstützung haben sich er und seine Bundesbankkollegin Alexandra Thomé von David Lööv von der schwedischen Zentralbank geholt. Das ist kein Zufall: Die Riksbank gilt mit der E-Krona weltweit als Vorreiterin.
Bei EZB und Bundesbank ist man noch nicht so weit: Die Euro-Notenbanker warten erst mal die laufende Untersuchungsphase ab, bevor sie über den digitalen Euro entscheiden und ihn erproben lassen. Dieses Frühstadium spiegelt auch die Runde bei der Euro20+: Zwischen gestapelten Europaletten und allerlei anderem Gerät teilen sich die Teilnehmer in drei Gruppen auf: Träumer, Kritiker, Realisten. Sie tauschen Argumente aus. Zu den Werkzeugen – und sei es nur im übertragenen Sinne – greift an diesem Tag niemand. Falls sich der EZB-Rat sputet, wird das vielleicht beim nächsten Mal was.