KommentarEU und Trump

Eine Zeitenwende für Brüssel und Berlin

Der autoritäre Herbst verdrängt den demokratischen Frühling: Europa braucht eine politische Zeitenwende, um von einem US-Präsidenten Trump noch ernst genommen zu werden.

Eine Zeitenwende für Brüssel und Berlin

Die Wahl in den USA ist beendet. Der Republikaner Donald Trump scheint überall die Nase vorn zu haben. Brüssel und Berlin können sich also schon einmal auf einen US-Präsidenten Trump einstellen, der diesmal – ungehindert von aus seiner Sicht zu sperrigen Beratern – wohl mehr Entscheidungen treffen dürfte, die Partner und Verbündete im Regen stehen lassen oder gar verprellen. Zudem dürfte er Diktatoren in mancherlei Hinsicht mehr Wohlwollen entgegenbringen als demokratisch regierten Staaten. Erstere bilden mit ihrem moralischen Kodex die Lebenswelt von Donald Trump besser ab als die sonstige westliche Welt. Demokratie hält er ohnehin für eine nicht mehr „zeitgemäße“ Regierungsform, die ihn am „Gestalten“ hindert.

„Autoritärer Herbst“

Die Welt hat sich geändert, eine Zeitenwende ganz anderer Art: Kein „demokratischer Frühling“, sondern ein „autoritärer Herbst“ hält Einzug. Europa muss nun zeigen, dass es auf eigenen Beinen stehen kann und sich nicht bei jedem Windhauch hinterm Rockzipfel der USA verstecken muss. Es wird Zeit aufzuwachen, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen – Hader, Zwist, Ressentiments und nationale Phrasendrescherei beiseitezulegen. Mehr Europa ist nötig für die großen politischen Bögen, für das gemeinsame Auftreten in der multipolaren Welt. Umgekehrt muss Brüssel dem europäischen „Wettbewerbsföderalismus“ mehr Raum geben. Also weniger Klein-Klein bei Regulierungen, die für den Binnenmarkt nicht den entscheidenden Unterschied machen. Das sät nur Zwietracht und bindet die Kräfte bei den weniger entscheidenden Themen.

EU-Agenda 2030

Nicht nur Deutschland, sondern auch Europa braucht insofern eine Agenda 2030, um auf der Weltbühne, beim technischen Fortschritt, in der Wettbewerbsfähigkeit mithalten zu können und insgesamt attraktiv zu bleiben für Demokraten, Forscher, Industrie und (digitaler) Technik. Das geht nur mit mehr Markt und weniger Plan- bzw. Regulierungswirtschaft „von oben“. Und nur mit einem starken Binnenmarkt wird es gelingen, dass die Region auch von den anderen Staaten wieder als ernst zu nehmender Partner geschätzt wird, auf den es Rücksicht zu nehmen gilt. Das ist die Voraussetzung, dass Europa weltweit eigene technische, ökonomische und politische Standards setzen kann. Insofern gilt es für die Politik nun, alles darauf zu verwenden, den Binnenmarkt zu vollenden, auszubauen und vor allem auch dem Finanzbinnenmarkt endlich Gestalt zu geben.