„Der digitale Euro bietet große Chancen – auch für Banken“
„Der digitale Euro bietet Chancen – auch für Banken“
Im Interview: Burkhard Balz
Bundesbankvorstand sieht Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle für Banken und Unternehmen auf Grundlage von digitalem Zentralbankgeld
Für Bundesbankvorstand Burkhard Balz spielt das Argument der strategischen Unabhängigkeit inzwischen eine überragende Rolle bei der Debatte um die Einführung des digitalen Euro. Welche Vorteile digitales Zentralbankgeld noch mit sich brächte, erklärt er im Interview.
Herr Balz, welche Vorteile brächte ein digitaler Euro für die Verbraucher der Eurozone, welche die bestehenden Zahlungsmittel nicht haben?
Der digitale Euro würde dem Verbraucher viele Vorteile bringen. Er wäre universell, bequem und würde die Privatsphäre der Zahlenden schützen. Wir kreieren zum ersten Mal ein europäisches digitales Zahlungsmittel, das im ganzen Währungsraum genutzt werden kann. Ein aus meiner Sicht erfolgreiches Produkt wie die Girocard endet an den Grenzen unseres Landes. Sie können zwar im Urlaub in Spanien mit ihrer Bankkarte bezahlen, aber die Abwicklung wird von den großen internationalen Kartensystemen gemacht. Das gilt im Grunde für die anderen nationalen Kartensysteme gleichermaßen. Außerdem ist Bargeld derzeit der einzige Zugang für die Bevölkerung zu Zentralbankgeld. Der digitale Euro wäre der nächste Entwicklungsschritt für den Euro und würde ausfallsicheres Zentralbankgeld in die digitale Welt bringen.
Sie sprechen an, dass die Abwicklung des digitalen Zahlungsverkehrs von außereuropäischen Kartensystemen durchgeführt wird. Wie wichtig ist das Argument der strategischen Unabhängigkeit für Sie in der Debatte um den digitalen Euro?
Das hat von Anfang an eine Rolle gespielt, heute aber ist es von überragender Bedeutung. Wir alle wissen, dass sich die Welt in turbulenten Zeiten befindet. Ich schaue da nicht nur in Richtung des russischen Krieges gegen die Ukraine. Die Bedeutung des Souveränitätsarguments ist deutlich größer geworden. Die Währung ist einer der Schlüsselfaktoren für die Stabilität eines Staatswesens. Wir müssen uns unabhängiger von ausländischen Zahlungsdienstleistern machen. Rund jeder dritte Euro im deutschen E-Commerce wird mit Paypal bezahlt. Wenn Sie sehen, wie stark die amerikanischen Anbieter geworden sind und welche Wachstumspläne die chinesischen haben, dann glaube ich, dass wir uns mit einem europäischen Angebot aufstellen müssen.
Mit der European Payments Initiative (EPI) entsteht ja gerade in der Privatwirtschaft ein solches europäisches Angebot im Zahlungsverkehr. Das genügt Ihnen aus Sicht der strategischen Unabhängigkeit nicht?
Es ist gut, dass wir ein europäisches Projekt wie EPI haben, gleichzeitig müssen wir von staatlicher Seite ein digitales Angebot unserer Währung schaffen. Ich traue dem EPI-Projekt viel zu und bin ein großer Unterstützer. Schon bei meinem Antritt als Vorstandsmitglied der Bundesbank 2018 habe ich gesagt, dass wir ein privates europäisches Zahlungsverfahren brauchen. Dennoch braucht es auch digitales Zentralbankgeld.
Wie kann es gelingen, dass sich EPI und digitaler Euro sinnvoll ergänzen?
Ich glaube, dass beides gut nebeneinander existieren kann. EPI dürfte ein natürlicher Partner des digitalen Euro werden. Wir müssen am Ende das digitale Zentralbankgeld an den Menschen bringen, und da kann EPI ein sinnvoller Distributionskanal werden. Ich glaube, dass wir sehr intensiv mit den Projektbeteiligten darüber sprechen müssen, wie das aussehen kann. Man könnte beispielsweise den digitalen Euro in die EPI-Wallet integrieren.
Die Banken äußern lautstark ihre Bedenken gegenüber dem digitalen Euro. So befürchten sie etwa, dass die Einführung die Finanzstabilität sowie ihr eigenes Geschäftsmodell beeinträchtigen könnte. Was halten Sie dem entgegen?
Wir nehmen alle Sorgen ernst, die an uns herangetragen werden, auch die aus der Kreditwirtschaft. Wenn der digitale Euro echte Gefahren für die Finanzstabilität mit sich bringen würde, würden wir ihn nicht umsetzen. Ein solches Risiko sehe ich aber derzeit nicht. Sicherlich könnte ein Haltelimit in einer Bankenkrise dem Abfluss von Einlagen in Richtung des digitalen Euro entgegenwirken.
Zahlungen von größeren Summen sollen mit dem digitalen Euro aber auch möglich sein.
Ja, deswegen arbeiten wir am sogenannten Wasserfallprinzip: Wenn der Zahlungsbetrag die Summe an digitalen Euro in der Wallet übersteigt, würde automatisch Geld vom verknüpften Bankkonto nachfließen, damit der gesamte Betrag beglichen werden kann.
Auch bei einem Haltelimit würden viele Bürger wahrscheinlich – obwohl der digitale Euro nicht verzinst werden soll – Geld statt bei ihrer Bank in ihrer Wallet in digitalen Euro halten. Für die Banken kein schönes Szenario.
Nehmen wir mal beispielhaft ein Haltelimit von 500 Euro pro Person. Selbst wenn alle Bürgerinnen und Bürger Deutschlands dieses Limit voll ausschöpfen würden, sollten die Einlagen im Bankensystem um weniger als 50 Mrd. Euro sinken. Dies ist eine Summe, die für die Banken in Deutschland ohne Weiteres zu verkraften wäre.
Burkhard BalzZukünftig wird es auch viele Möglichkeiten im Internet der Dinge geben.
Nun haben wir über mögliche Nachteile für Banken gesprochen, welche Vorteile hätte ein digitaler Euro aus Ihrer Sicht für die Kreditwirtschaft?
Erstmal Kundenbindung. Die Wallet wird mit einem Bankkonto verknüpft. Das heißt nicht, dass man die Wallet später nicht mit einem anderen Konto verknüpfen könnte, aber das ist sicherlich eine Hürde für viele Verbraucher, das zu tun. Angesichts der Angebote und neuen Ideen von Fintechs ist für die Banken das Konto für den Zahlungsverkehr heutzutage der Anker in der Kundenbeziehung. Um die Wallet für den digitalen Euro herum könnten Banken viele Dienstleistungen kreieren. Der digitale Euro bietet große Chancen – auch für Banken. Das bestreitet in unseren Gesprächen übrigens niemand aus der Kreditwirtschaft.
Wir könnten diese Dienstleistungen aussehen?
Banken können sich in einer digitalen Welt überlegen, welche Daten sie miteinander verknüpfen können, um Transaktionen für den Kunden noch bequemer zu machen. Zukünftig wird es auch viele Möglichkeiten im Internet der Dinge geben.
Sie haben in Reden vorgeschlagen, für den digitalen Euro eine Token-Struktur zu wählen. Weshalb?
Wir haben noch nicht abschließend über die Technologie entschieden. 2024 ist ein wichtiges Jahr, um festzulegen, welche Technologien infrage kommen. Ich kann mir sehr gut einen tokenbasierten digitalen Euro vorstellen. Dies würde zusätzliche Chancen, insbesondere bei Anwendungen im Internet der Dinge, mit sich bringen.
Haben Sie ein Beispiel parat?
Im Grunde genommen können Sie dann Ihr ganzes Universum auf einem Token kreieren. Um ein simples Beispiel zu nennen: Wenn ein Paket erfolgreich an den Empfänger ausgeliefert wurde, dann könnte automatisch der Bezahlvorgang generiert werden.
Zu Beginn unseres Gesprächs sagten Sie, dass ein großer Vorteil des digitalen Euro sei, dass damit Zahlungen in der ganzen Eurozone möglich sein werden. Nun dürfte es aber für kleine Händler die Möglichkeit geben, ihn nicht zu akzeptieren. Damit stünde man ja wieder vor der Situation, dass im Kiosk um die Ecke vielleicht nur Bargeld angenommen wird.
Für kleine Händler sind Ausnahmen von der Annahmepflicht im Gespräch. Wer generell kein Zahlungsterminal hat, muss den digitalen Euro nicht akzeptieren. Als Zentralbank hätten wir gerne möglichst wenig Ausnahmen. Entscheiden muss aber der Gesetzgeber auf europäischer Ebene. Je weniger Ausnahmen, desto besser ist das für die künftige Akzeptanz des digitalen Euro.
Burkhard BalzDas Eurosystem hat keinerlei kommerzielles Interesse an einer Auswertung oder gar an einem Verkauf von Daten.
Da nennen Sie ein wichtiges Stichwort: Akzeptanz. Vor allem in Deutschland wird das mit dem Schutz der Privatsphäre stehen oder fallen. Wie kann der digitale Euro einen hohen Datenschutz gewährleisten und gleichzeitig nicht zum Einfallstor für Geldwäsche werden?
Das Eurosystem hat keinerlei kommerzielles Interesse an einer Auswertung oder gar an einem Verkauf von Daten. Ein digitaler Euro wäre auf jeden Fall so konzipiert, dass weder die EZB noch die anderen Zentralbanken des Eurosystems imstande wären, Transaktionen mit dem digitalen Euro einzelnen Personen zuzuordnen. Zudem diskutieren wir eine Grenze, bis zu der die Transaktion für alle Beteiligten komplett anonym abgewickelt werden soll. Natürlich werden bei digitalen Bezahlvorgängen immer Datenspuren erzeugt, aber wir können entscheiden, ob wir die für einen bestimmten Zeitraum speichern oder nicht. Die Grenze könnte bei einer Summe liegen, die den täglichen Ausgabenbedarf abdeckt. Momentan sind um die 150 Euro im Gespräch. Bei größeren Summen werden die Daten ausschließlich für Themen wie zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung genutzt.
Täuscht der Eindruck, dass Datenschutz vor allem in Deutschland ein Thema ist?
Wir hatten vor zweieinhalb Jahren eine öffentliche Befragung gemacht und aus den Ländern des Eurosystems 8.000 Antworten erhalten. 60% der Antworten kamen aus Deutschland, wovon sich wiederum 60% nur um Datenschutz und Privatsphäre drehten. Es ist vor allem bei uns im Land ein Thema. Deswegen schärfen wir bei den internen Diskussionen im Eurosystem, wenn es um Datenschutz geht, immer wieder aus der deutschen Perspektive nach. Ich habe den Eindruck, dass es bei der EZB und den anderen nationalen Notenbanken angekommen ist, wie wichtig das Thema ist. Daher müssen wir es auch sauber lösen. Denn es geht am Ende um das Vertrauen der Bevölkerung in diese neue digitale Form der Währung.
Wäre es eine Möglichkeit, den Code des digitalen Euro als Open Source zu veröffentlichen, um das Vertrauen zu stärken?
Die Zentralbanken sind kein sonderlich großer Befürworter von Open-Source-Verfahren. Ich glaube nicht, dass Dritte Zugriff auf den Code haben sollten. Ich bin davon überzeugt, dass wir auch ohne direkten Zugriff auf den Code das Vertrauen erzeugen können, dass wir verantwortungsvoll handeln. Wir stehen dafür ein, dass ordnungsgemäß mit den Daten umgegangen wird.
Burkhard BalzIch glaube, dass es realistisch nicht möglich ist, ein Gesetzgebungsverfahren vor der zweiten Jahreshälfte 2025 abzuschließen.
Noch fehlt der gesetzliche Rahmen für den digitalen Euro. Welche Auswirkungen hat die bevorstehende Europawahl auf den Zeitplan?
Durch die Wahlen werden die Beratungen im Parlament für rund ein halbes Jahr zum Stehen kommen, und man wird schauen müssen, wann die Beratungen zum sogenannten „Single Currency Package“ im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (Econ) wiederaufgenommen werden. Ich glaube, es ist unrealistisch, das Gesetzgebungsverfahren vor der zweiten Jahreshälfte 2025 abzuschließen. Das wäre in meinen Augen als jemand, der in solchen Dingen ja eine gewisse Erfahrung mitbringt, das Best-Case-Szenario. Erfreulich ist, dass der andere Co-Gesetzgeber, der Rat der EU, zusätzliche Arbeitsgruppensitzungen bereits jetzt vorgesehen hat, um den Verordnungsentwurf zu diskutieren. Für einen zügigen Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens könnte es aber hinderlich sein, dass die beiden nächsten Ratspräsidentschaften, Ungarn und Polen, keine Mitglieder des Euroraums sind.
Im Wahlkampf spielt das Thema digitaler Euro keine Rolle. Sorgt Sie das?
Überhaupt nicht. Wir haben noch einen langen Zeithorizont bis zu einer potenziellen Ausgabe des digitalen Euro vor uns. Es ist ganz normal, dass das Thema zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Breite angekommen ist. Über die Details können wir heute noch nicht abschließend berichten, weil vieles aktuell noch offen ist.
Bis wann rechnen Sie mit einer Einführung?
Nicht vor 2028.
Was sind dann die nächsten Schritte?
Drei Punkte. Wir arbeiten weiter an der Technologie, stellen ein Regelwerk auf – also definieren, wie die Zusammenarbeit der verschieden Beteiligten genau aussehen soll – und sprechen über das Marketing, um den digitalen Euro den Menschen nahezubringen. Anders als beim Marketing zur Einführung des physischen Euro wird diesmal Social Media eine wesentliche Rolle spielen.
Seit 2024 haben Sie in der Bundesbank einen eigenen Zentralbereich für den digitalen Euro. Weshalb haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?
Wir wollen Kolleginnen und Kollegen haben, die sich komplett auf das Thema fokussieren können. Ein Team wird sich um Strategie und Öffentlichkeitsarbeit kümmern, ein weiteres um das Miteinander mit den anderen Stakeholdern und ein drittes Team um alles, was mit Technologie zu tun hat.
Dafür braucht es technisch versierte Leute, die auf dem Arbeitsmarkt hart umkämpft sind.
Wir sind auf einem sehr guten Weg. Ich war erst skeptisch, weil es überall eine hohe Nachfrage nach solchen Fachleuten gibt und sicherlich manche Unternehmen besser zahlen als die Deutsche Bundesbank. Aber es ist erkennbar, dass viele hochqualifizierte Bewerberinnen und Bewerber die zu besetzenden Stellen bei uns sehr interessant finden. Die sagen teilweise ganz offen, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass sie sich in ein paar Jahren eine neue Stelle in der Privatwirtschaft suchen werden, jetzt aber bei uns im Team den digitalen Euro voranbringen wollen. Ich bin daher überzeugt, dass wir eine gute Mannschaft zusammenstellen werden.
Das Interview führte Martin Pirkl.
Das Interview führte Martin Pirkl