Clemens Fuest

„Der Kuchen wird kleiner“

Deutschland steht vor wichtigen Tarifrunden. Angesichts der hartnäckig viel zu hohen Inflation wächst die Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale. Im Interview spricht Ifo-Chef Clemens Fuest über diese Gefahr – und über Gegenmaßnahmen.

„Der Kuchen wird kleiner“

Mark Schrörs

Herr Professor Fuest, die IG Me­tall fordert für ihre Beschäftigten zwischen 7 und 8% mehr Lohn und verweist auch auf die hartnäckig hohe Inflation. Ist das gerechtfertigt oder angesichts der Konjunkturrisiken, nicht zuletzt we­gen des Ukraine-Kriegs, überzogen?

Bei Tarifverhandlungen geht es letztlich darum, das, was die Unternehmen erwirtschaften, unter Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufzuteilen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass steigende Lohnkosten einen Arbeitsplatzabbau auslösen können. Die Gewerkschaften können nicht erwarten, dass die Energiepreisinflation voll ausgeglichen wird, denn die Verteuerung von Energie verringert zugleich die Ge­winne der Unternehmen. Der Ku­chen wird dadurch kleiner. Gleichzeitig muss man sehen, dass Gewerkschaften mit hohen Forderungen in die Verhandlungen ge­hen müssen, weil das Ergebnis im­mer unter der ersten Forderung liegen wird.

Für die Stahlkocher gab es bereits ein Rekord-Lohnplus von 6,5%, jetzt fordert die IG Metall sogar noch mehr und auch andere Gewerkschaften haben bereits zu verstehen gegeben, dass sie eine Kompensation für die hohe Inflation verlangen. Kommt es nun zu der vielfach befürchteten Lohn-Preis-Spirale?

Das kann passieren, ist aber derzeit noch nicht eindeutig sichtbar. In der Chemie-Industrie hat man sich auf Einmalzahlungen geeinigt. Derartige Abschlüsse vermeiden eine Lohn-Preis-Spirale und lassen angesichts der hohen Unsicherheit über die weitere Entwicklung Anpassungsspielräume. Das ist eine kluge Politik. Ob andere dem folgen, bleibt abzuwarten.

Und wie schätzen Sie die Lage mit Blick auf den gesamten Euroraum ein? Auch da ist ein von der EZB berechneter Lohnindikator im ersten Quartal deutlich von zuvor 1,6% auf 2,8% gesprungen.

Dass das Lohnwachstum in der aktuellen Lage zunimmt, auch angesichts der wachsenden Arbeitskräfteknappheit, ist sinnvoll. Bei diesem Niveau kann man sicherlich noch nicht von einer Lohn-Preis-Spirale reden. Ich rechne allerdings mit einer Beschleunigung des Lohnwachstums.

Bundeskanzler Olaf Scholz möchte in einer „konzertierten Aktion gegen den Preisdruck“ Arbeitgeber und Gewerkschaften an einen Tisch bringen, um über die Lage zu beraten. Was halten Sie davon?

Miteinander zu reden ist immer gut, aber allzu viel sollte man davon nicht erwarten. Die Gewerkschaften haben ja schon gesagt, dass sie sich dadurch von Lohnforderungen nicht abbringen lassen.

Scholz redet vor allem Einmalzahlungen an die Beschäftigten das Wort. Ist das das richtige Instrument? Sollte auch der Staat noch einmal tiefer in die Tasche greifen, um die Realeinkommensverluste auszugleichen?

Ja, es ist sicherlich gut, in der aktuellen Lage Einmalzahlungen zu erwägen. Sie haben den Vorteil, dass sie ei­ne Festlegung auf permanente Lohnerhöhungen vermeiden. Da­durch ist es möglich, auf überraschende Entwicklungen, beispielsweise einen überraschenden, stärkeren wirtschaftlichen Einbruch, zu reagieren. Ich würde aber davon ab­raten, dass der Staat versucht, durch Steuer- und Abgabensenkungen Lohnmäßigung zu erreichen. Das würde die öffentliche Verschuldung weiter steigern und die Inflation eher noch anheizen. Die Auswirkungen auf die Lohnsteigerungen wären auch begrenzt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auch aus Sorge wegen der anziehenden Inflationserwartungen und einer Lohn-Preis-Spirale eine Zinswende ab Juli avisiert. Reicht das aus oder müsste sie noch aggressiver vorgehen?

Meines Erachtens handelt die EZB zu spät. Man hätte schon vor längerer Zeit die Staatsanleihenkäufe einstellen und die Zinsen erhöhen sollen. Die derzeit geplanten Zinsschritte von 0,25 Prozentpunkten werden kaum Wirkung entfalten. Ich sehe die Gefahr, dass die EZB nachlegen muss und der Schock dann umso größer ist.

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass es wegen der De-Globalisierung dauerhaft wieder mehr Lohndruck geben könnte, weil Ar­beitnehmer und Gewerkschaften an Verhandlungsmacht zurück­gewinnen?

Falls es zu einer Rückentwicklung der internationalen Arbeitsteilung kommt, werden die Produktionskosten steigen. Das bedeutet zunächst einmal weniger Spielräume für Lohnsteigerungen. Gleichzeitig entsteht daraus Inflationsdruck. Das wird dann über kurz oder lang auch zu höheren Lohnforderungen führen. Ich denke, dass die Arbeitskräfteverknappung durch den demografischen Wandel der wichtigere Effekt ist. Das wird zu schnellerem Lohnwachstum bei sinkenden Arbeitnehmerzahlen führen. Die Folge ist Stagflation – stagnierende Wirtschaftsleistung bei steigenden Preisen. Das kann man nur durch verstärkte Automatisierung ausgleichen. Ich habe allerdings Zweifel, ob das ausreicht.

Die Fragen stellte .

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