Geldpolitik

Der nächste Inflationssprung

Die Verbraucherpreise in Deutschland übertreffen einmal mehr die Erwartungen von Beobachtern. Das gilt auch für Spanien. Die Europäische Zentralbank gerät immer stärker unter Druck.

Der nächste Inflationssprung

rec/lz Frankfurt

Ein weiterer kräftiger Inflationsschub in Deutschland und Spanien setzt die Europäische Zentralbank (EZB) gehörig unter Druck. Die Inflationsrate ist hierzulande im Mai auf 8,7% gestiegen. Das hat die Schnellschätzung des Statistischen Bundesamts (Destatis) für den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) ergeben, der maßgeblich für die EZB ist. Nach nationaler Rechnung (VPI) kratzt die Teuerung an der 8-Prozent-Schwelle: Sie ist auf 7,9% gestiegen. Ähnlich hoch war sie zuletzt im Winter 1973/74, als infolge der ersten Ölkrise die Mineralölpreise ebenfalls stark gestiegen waren.

Ökonomen hatten insgesamt mit einer etwas niedrigeren Preissteigerung gerechnet. Da auch in anderen europäischen Ländern die Preise nach wie vor stark zulegen, dürfte dies die Debatte im EZB-Rat weiter verschärfen, wie aggressiv die Geldpolitik im Euroraum gestrafft werden sollte. Für die gesamte Eurozone rechnen bis auf eine Ausnahme alle von Bloomberg befragten Volkswirte mit einer Beschleunigung der Teuerung im Mai, wobei die Medianerwartung bei 7,8% liegt. Eine Schnellschätzung veröffentlicht das Statistikamt Eurostat am Dienstag.

Wie Destatis hat auch das Statistikamt in Spanien eine weiter steigende Inflationsrate für Mai gemeldet, während Ökonomen mit einem Rückgang gerechnet hatten. EU-harmonisiert stand im Mai ein Anstieg des Preisniveaus um 8,5% zu Buche, nach 8,3% im Vormonat.

Die Wiesbadener Statistiker erklärten: „Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine sind insbesondere die Preise für Energie merklich angestiegen und beeinflussen die hohe Inflationsrate erheblich.“ So kletterten die Energiepreise in Deutschland um 38,3%. Nahrungsmittel verteuerten sich um 11,1% und damit so stark wie nie seit der Wiedervereinigung. Laut einer Studie von Allianz Trade haben Lebensmitteleinzelhändler die Preise um „bescheidene“ 6,6% erhöht. Damit hätten sie die gestiegenen Erzeugerpreise bislang nicht einmal zur Hälfte weitergegeben. „Das Schlimmste kommt auf die Haushalte also erst noch zu“, sagte Aurélien Duthoit, Senior-Volkswirt und Branchenexperte bei Allianz Trade.

Hinzu kommen Materialengpässe durch unterbrochene Lieferketten aufgrund der Corona-Pandemie, die noch viele andere Waren teurer machen. Experten gehen davon aus, dass der Inflationsdruck deshalb vorerst sehr hoch bleiben wird. „Bei den von Lieferengpässen getroffenen Gütern und bei Nahrungsmitteln steckt wohl noch etwas Druck in der Pipeline, bevor die Lage sich ab dem Herbst entspannen dürfte“, sagte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. „Der Tankrabatt und andere Eingriffe dürften aber dafür sorgen, dass die Inflationsrate in den kommenden Monaten in Deutschland nicht weiter steigt.“

Die Bundesregierung hat für Juni bis August Steuernachlässe für Benzin und Diesel beschlossen, die nach und nach an den Zapfsäulen ankommen dürften. Auch das 9-Euro-Ticket für den Nahverkehr könnte kurzfristig entlasten. Experten wie LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch sehen darin allerdings keine echte Verbesserung, „sondern eher das Lehrbuchbeispiel für fiskalischen Aktionismus“.

Unklar ist, ob mit dem neuerlichen Rekordwert seit Euro-Einführung der Höhepunkt erreicht ist. Darauf setzt etwa Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): „Die Inflation befindet sich jetzt nahe an ihrem Gipfelpunkt“, ab Jahresmitte dürfte die Rate schon aus statistischen Gründen fallen. Von Entwarnung könne deshalb aber keine Rede sein, hieß es allenthalben. Sorgen vor anhaltendem Preisdruck löst auch ein neuerlicher Rekord der Importpreise aus: Wie das Statische Bundesamt meldete, mussten Unternehmen für Einfuhren im Mai 31,7% mehr zahlen als vor einem Jahr.

Bundesbankchef Joachim Nagel geht davon aus, dass es noch „etwas dauern“ kann, bis die Inflation sinkt. Er dringt auf eine Zinserhöhung im Juli, der weitere Schritte noch im laufenden Jahr folgen sollten. Höhe und Tempo der Zinserhöhungen sind im EZB-Rat umstritten.

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