Lieferkettenprobleme

Deutsche Industrie schlägt Preisalarm

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnt: Anhaltende Lieferkettenprobleme wachsen sich zur Gefahr für den Aufschwung aus –und Preisschübe dürften kein kurzfristiges Phänomen bleiben.

Deutsche Industrie schlägt Preisalarm

rec Frankfurt

Die deutsche Industrie schlägt Alarm: Branchenübergreifende Probleme in den globalen Lieferketten bremsen die konjunkturelle Erholung aus und sorgen voraussichtlich für anhaltende Preisschübe. Das geht aus einer Blitzumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) unter 3000 Un­ternehmen im In- und Ausland hervor. Dies dürfte auch die Diskussion über steigende Verbraucherpreise in Deutschland und der Eurozone befeuern. Denn die Ergebnisse der Umfrage legen für DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier mit Blick auf den starken Anstieg der Inflation insbesondere in Deutschland nahe, „dass wir es nicht mit einem kurzfristigen, temporären Phänomen zu tun haben, das hauptsächlich mit der zwischenzeitlichen Mehrwertsteuersenkung erklärt werden kann“.

In Deutschland sind die Verbraucherpreise im Jahresverlauf kräftig nach oben geschossen. Laut dem harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) stieg die Inflationsrate auf Jahressicht im Juli auf 3,1%, in nationaler Rechnung (VPI) gar auf 3,8%. Die Bundesbank hält im Verlauf des zweiten Halbjahres Inflationsraten an die 5% für möglich, wobei der Höhepunkt im November erwartet wird. Insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) hält dies wegen Basis- und Sondereffekten im Zuge der Pandemie, worunter auch die zwischenzeitliche Absenkung der Mehrwertsteuer hierzulande vor einem Jahr zählt, für eine vorübergehende Entwicklung. Bundesbankchef Jens Weidmann drang hingegen zuletzt darauf, „auch das Risiko einer zu hohen Inflationsrate genau im Blick zu behalten“.

Auch gesamtwirtschaftlich ist die aktuelle Gemengelage brisant. „Rohstoffmangel und Lieferkettenprobleme treffen die deutsche Wirtschaft in ihrer ganzen Breite“, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. „Die aktuelle Entwicklung kann den wirtschaftlichen Erholungsprozess nach der Krise merklich erschweren.“ Ökonomen rechnen damit, dass sich die Konjunktur im Herbst abkühlt. Dazu tragen neben Lieferkettenproblemen Sorgen über eine neuerliche Ausbreitung des Coronavirus bei.

„Sehr viel Druck im Kessel“

Die DIHK-Umfrage untermauert, dass momentan insbesondere vom Außenhandel ein hoher Preisdruck ausgeht. Demnach berichten 88% der Unternehmen, dass ihre Preise im Einkauf gestiegen seien. Treier verwies in diesem Zusammenhang auch auf zweistellige Wachstumsraten auf vorgelagerten Stufen der Wertschöpfung: Bei Erzeuger-, Großhandels- und Import- wie Exportpreisen registrieren amtliche Statistiker zurzeit durchweg Jahreszuwächse, wie sie seit den Ölkrisen in den 1970er und frühen 1980er Jahren nicht angefallen sind. Offen ist, in welchem Ausmaß dies auf die Verbraucherpreise durchschlägt. Maßgeblich dafür ist wiederum, inwieweit Unternehmen Preisaufschläge an Kunden weiterreichen. Dies beabsichtigen laut DIHK zwei Drittel. Das deckt sich mit vergleichbaren Erhebungen aus jüngster Zeit, wobei die Bereitschaft, Preiserhöhungen weiterzureichen, tendenziell zuzunehmen scheint. In preislicher Hinsicht sei „noch sehr viel Druck im Kessel bei den Unternehmen“, sagte Treier.

Unklar ist, ob es vor allem Zulieferern tatsächlich gelingt, höhere Preise für Rohstoffe, Vorleistungen und Fracht umzuwälzen. Jens Hildebrandt, Chef der Außenhandelskammer in China, berichtete von „sehr schwierigen Verhandlungen mit Kunden“. Sollte die Industrie auf breiter Front auf höheren Kosten sitzen bleiben, brachte Treier eine Wiederauflage des Schutzschirms für Warenkreditversicherungen ins Spiel. Ansonsten fehle Spielraum für Investitionen, falls die Margen ähnlich wie zu Beginn der Pandemie abermals unter Druck geraten – seinerzeit freilich wegen der eingebrochenen Nachfrage.

Was Preisanstiege und Lieferprobleme betrifft, rechnet nur knapp jedes fünfte Unternehmen damit, dass sich die Lage bis Jahresende bessert. 53% erwarten dagegen erst 2022 eine Aufhellung der Lage. Ein Viertel kann nicht einschätzen, wann es zur Normalisierung kommen werde. „Wir sehen hier aktuell sehr große Unsicherheiten“, sagte Treier.

Etwas mehr als die Hälfte meldet Probleme beim Transport, wobei der Mangel an Containern und Frachtkapazitäten auf See hervorsticht. Fast ebenso viele beklagen Produktionsausfälle bei Zulieferern. Neben der Suche nach zusätzlichen Lieferanten ist eine Mehrheit der Unternehmen darauf aus, ihre Lager aufzustocken. Hier setzen sich die Probleme aber fort, weil deutsche Unternehmen beim Wiederauffüllen der Bestände zu den Nachzüglern gehören und vor allem Konkurrenten aus den USA Vorprodukte horten, wie eine Studie der Allianz-Tochter Euler Hermes ergab (vgl. BZ vom 17. August).

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