Deutsche Wirtschaft zwischen Hoffen und Bangen
ba Frankfurt
Die Folgen des Ukraine-Kriegs, der hohe Preisdruck und die Nulltoleranz-Coronapolitik in China sorgen derzeit weltweit für konjunkturelle Turbulenzen und werden die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal auf Talfahrt schicken. Zum Jahresauftakt hat das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dank der regen Investitionstätigkeit noch leicht um 0,2% zugelegt. Der Privatkonsum, sonst zuverlässige Wachstumsstütze, wird aber wohl ebenso wie der Export noch länger als nur im Startabschnitt kraftlos bleiben. Denn das Konsumklima ist trotz einer leichten Aufhellung im Mai noch in der Nähe seines absoluten Tiefpunkts – und auch wenn die Exporterwartungen zuletzt leicht gestiegen sind, bleibt die Industrie vorsichtig.
Fast noch auf Rekordtief
„Die Konsumerholung im Sommerhalbjahr dürfte relativ schwach ausfallen, im Winterhalbjahr wird die Wirtschaft nahezu stagnieren“, schreibt etwa die KfW in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Konjunkturkompass. Mit einer konjunkturellen Belebung sei erst wieder zu rechnen, wenn die hemmenden Faktoren nachließen und sich die Lieferkettenproblematik durchgreifend entspanne – nach derzeitigem Stand sei das ab dem Frühling 2023 der Fall. „Allerdings ist auch dann kaum mit sehr kräftigen Quartalswachstumsraten zu rechnen, da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bis dahin spürbare Reallohn- und Kaufkraftverluste zu verarbeiten hat“, mahnen die KfW-Ökonomen.
Vor allem die hohe Inflation von 7,4% im April – dem Höchststand seit März 1981 – drückt derzeit auf die Stimmung der Verbraucher, wie die GfK-Konsumklimastudie Mai zeigt. Für Juni prognostizieren die Nürnberger Konsumforscher ein Konsumklima von −26,0 Punkten. Im Mai lag das Barometer mit revidiert –26,6 Zählern auf seinem Rekordtief. „Damit verbessert sich das Konsumklima zwar geringfügig, die Konsumstimmung ist aber nach wie vor an einem absoluten Tiefpunkt,“ erklärte dazu GfK-Konsumexperte Rolf Bürkl. Nachdem „hohe Preise für Energie und Lebensmittel dafür sorgen, dass entsprechend weniger Geld für andere Anschaffungen zur Verfügung steht“, ist die Anschaffungsneigung auf niedrigem Niveau nahezu unverändert, heißt es bei der GfK. Zuletzt legte allein die Energiekomponente der Teuerungsrate um 35,3% zu. Die Einkommenserwartung, die im April auf den niedrigsten Wert seit fast 20 Jahren abgestürzt war, erholte sich etwas.
Unternehmen suchen Leute
Für Hoffnung sorgt aber der robuste Arbeitsmarkt: „Die Unternehmen in Deutschland planen vermehrt Neueinstellungen“, erklärte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe zum Anstieg des Ifo-Beschäftigungsbarometers im Mai um 1,2 auf 104,0 Punkte. Der Fachkräftemangel bleibe indes hoch und die Unternehmen könnten nicht alle offenen Stellen besetzen, sagte Wohlrabe. Der monatlichen Ifo-Umfrage zufolge sind „Anzeichen für eine Rezession derzeit nicht sichtbar“, wie Ifo-Präsident Clemens Fuest aus dem zweiten Anstieg des Ifo-Geschäftsklimaindex in Folge liest. Der GfK-Umfrage zufolge aber befürchten Verbraucher sehr wohl noch eine Rezession hierzulande.
Verhalten optimistisch zeigten sich die Bundesbank-Ökonomen im jüngsten Monatsbericht: „Im zweiten Quartal 2022 dürfte die deutsche Wirtschaftsleistung aus heutiger Sicht allenfalls leicht zulegen.“ Dahinter stünden starke, aber entgegengesetzte Kräfte. Während die gelockerten Corona-Schutzmaßnahmen Dienstleistern und dem Privatkonsum kräftigen Schub verliehen, verstärkten die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs die Belastungen durch hohe Teuerung und Lieferengpässe. Zudem verschärft die chinesische Coronapolitik das Lieferkettenproblem. Schon seit langem kann die Industrie ihren rekordhohen Auftragsbestand nicht in eine entsprechende Produktion umsetzen.
Im Startabschnitt bewegten sich die privaten (−0,1%) und staatlichen Konsumausgaben (+0,1%) dem Statistikamt Destatis zufolge jeweils auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorquartal. Starke Impulse kamen hingegen von den Investitionen: Wegen der milden Witterung legten die Bauinvestitionen trotz deutlicher Preisanstiege 4,6% zu, in Ausrüstungen wie Maschinen und Fahrzeuge wurde 2,5% mehr investiert als im Vorquartal. Wegen der internationalen Lieferkettenprobleme sanken die Exporte im Quartalsvergleich um 2,1%. Die Gesamtimporte legten um 0,9% zu, was die Wiesbadener Statistiker auf kräftig gestiegene Dienstleistungsimporte, etwa durch mehr Reisen, zurückführen. Der Blick auf die Wirtschaftsbereiche ergab das erwartete gemischte Bild: Die Bruttowertschöpfung in der Industrie war leicht im Minus, bei den Dienstleistungen im Plus.