Digitalgipfel der Bundesregierung

Deutscher Wirtschaft droht digitale Bevormundung

Immer mehr Unternehmen sehen sich gezwungen, auf ausländische Software und KI-Anwendungen zuzugreifen, weil es an einschlägigen heimischen Angeboten fehlt. Berlin wird aufgefordert, mit besserer Regulierung und unternehmensfreundlicheren Marktbedingungen für eine digitale Zeitenwende zu sorgen.

Deutscher Wirtschaft droht digitale Bevormundung

Deutscher Wirtschaft droht digitale Bevormundung

Abhängigkeit von außereuropäischen Produkten dramatisch hoch – ZEW-Studie: Unternehmen beunruhigt – Kritik an Rahmenbedingungen

Immer mehr Unternehmen sehen sich gezwungen, auf ausländische Software und KI-Anwendungen zuzugreifen, weil es an einschlägigen heimischen Angeboten fehlt. Berlin ist gefordert, mit besserer Regulierung und unternehmensfreundlicheren Marktbedingungen für eine digitale Zeitenwende zu sorgen.

lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt

Die Abhängigkeiten deutscher Unternehmen von digitalen Produkten nichteuropäischer Anbieter haben sich zuletzt weiter verstärkt. Das engt zunehmend ihre Selbstbestimmung ein, legt sie auf das jeweilige Ökosystem fest und macht sie anfällig für Entwicklungen, die außerhalb ihres Einflussbereichs sind. Wie eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim zeigt, die auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung in Frankfurt vorgestellt wurde, klagen 80% der Unternehmen der Informationswirtschaft und des verarbeitenden Gewerbes über eine diesbezügliche außereuropäische Abhängigkeit.

Aber auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist eine hohe einseitige Abhängigkeit von ausländischen Anbietern in spezifischen Sektoren wie Cloud Computing und künstliche Intelligenz (KI) fatal. Das liegt zum einen an den nach wie vor zu geringen Investitionen in die Cloud-Infrastruktur, zum anderen an der oligopolähnlichen Stellung großer amerikanischer Digitalkonzerne etwa bei KI. Beides bedingt einander und treibt die digitale Entwicklung in neue Höhen, wie Béla Waldhauser von Telehouse Deutschland auf dem Digitalgipfel warnt.

Im Hinblick auf die Rolle des Staates fordern Unternehmen daher, dass die Verwaltung stärker denn je bei der Beschaffung auf europäische Anbieter setzen sollte. Angesichts eines hohen Staatsanteils, der weltweit seinesgleichen suche, sei ein solcher Schritt nötig, um der Open-Source-Bewegung mehr Spielraum zu geben, betont Mirko Böhm von der Linux Foundation. Sogar eine Quotenregelung wurde angeregt.

Quotenregel für Open Source?

Wie die repräsentative ZEW-Befragung von 1.200 Unternehmen zeigt, sorgen sich die Unternehmen vor allem um den Verlust der Datenhoheit. Zudem bestehen der Studie zufolge weitere Abhängigkeiten bei Sicherheitstechnologien und digitalen Plattformen. Aber auch im Bereich künstliche Intelligenz (KI) geben 52% der Unternehmen in der Informationswirtschaft an, keine europäischen Alternativen vorzufinden, die sie nutzen könnten.

Debatte über digitale Souveränität (vlnr): Irene Bertschek, ZEW, Anna Christmann, MdB, Antje Leminsky, Bechtle AG, Linda Machwitz, DFA-Digital für alle GmbH.

Aber selbst wenn diese vorhanden sind, scheinen außereuropäische Unternehmen nach Ansicht der Unternehmen kostengünstiger anzubieten und technologisch attraktiver zu sein. Als problematisch werden dabei vor allem Lock-in-Effekte genannt, was 58% der Unternehmen in der Informationswirtschaft beklagen. Lock-in bedeutet, dass eine einmal getätigte Systementscheidung es erschwert, aus der Abhängigkeit wieder herauszukommen, weil Folgeentscheidungen und Investitionen darauf beruhen und der Systemanbieter zunehmend in eine die Inhalte bestimmende Rolle kommt.

Die Experten auf dem Digitalgipfel halten es daher für notwendig, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, damit europäische Unternehmen und Start-ups wachsen und zu einer Marke werden können, um im Markt sichtbar und vertrauenswürdig zu sein. Denn europäische Alternativen seien durchaus vorhanden, betont Bechtle-Vorständin Antje Leminsky, aber agierten bislang unter der Wahrnehmungsschwelle. Schon ein Abbau der Überregulierung würde hier für einen Wachstumsschub sorgen.

Denn auch der Wirtschaftsstandort benötigt europäische Digitalunternehmen, die global als Marktführer auftreten. Denn das, so Anna Christmann, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Digital-Koordinatorin der Bundesregierung, helfe auch der Region in der Verhandlung mit anderen Weltmarktführern, weil der Standort dann erst genommen und nicht nur als Markt angesehen werde.

Hemmnis Regulierung

Und hier ist nach Meinung von ZEW-Ökonomin Irene Bertschek die deutsche Regierung selbst gefordert: „Wenn in anderen EU-Ländern wie Finnland, unter ansonsten gleichen EU-Rahmenbedingungen, digital mehr möglich ist als in Deutschland, sollte uns das zu denken geben.“ Finnland etwa stellt Medizindaten in großem Maßstab und mit niedriger Zugangsschwelle der Forschung zur Verfügung.

Gegenwärtig bestehen vornehmlich Abhängigkeiten von Anbietern und Partnern aus den USA. Die Abhängigkeiten von China sind demgegenüber eher gering. 46% der Unternehmen in der Informationswirtschaft geben aber an, große Sorge vor zukünftigen Abhängigkeiten zu haben. Auch im verarbeitenden Gewerbe beträgt dieser Anteil 50% der Unternehmen.

Gefordert ist der Staat auch bei der Absicherung der Infrastruktur. Grünen-Abgeordnete Christmann verweist auf Monopolstrukturen auch bei der Satellitenkommunikation. Es sei unklar, was im Notfall passiere, wenn das Satellitennetz ausfalle oder selektiv abgeschaltet werde. Dass Brüssel hier ein eigenes Netz auf die Beine stellen will, sei ein erster Schritt.