Deutschland gehen die Firmen flöten
Deutschland gehen die Firmen flöten
16,8 Prozent mehr Regelinsolvenzen beantragt als im Vorjahr
ba/sar Frankfurt
Deutschland verliert immer mehr Unternehmen: Nicht nur, dass die Insolvenzzahlen steigen, im Mittelstand erwägen so viele Firmen wie nie, den Betrieb aufzugeben − vor allem wegen fehlender Nachfolgelösungen. Zudem verabschieden sich Firmen wegen der hohen Energiekosten und Steuern, überbordender Bürokratie und Fachkräftemangel ins Ausland. Die Erwartungen an die künftige Bundesregierung sind daher hoch, den Standort D zu stärken.
2024 ist die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen laut Destatis um 16,8% gegenüber 2023 gestiegen. Zum Jahresende hat sich das Insolvenzgeschehen dabei wieder beschleunigt: Im Dezember beträgt der Zuwachs 13,8% zum Vorjahresmonat, im November waren es noch 12,6%. Seit Juni 2023 liegen die Zuwachsraten im Vorjahresvergleich im zweistelligen Bereich − einzige Ausnahme ist der Juni dieses Jahres, als es 6,3% waren.
Fast ein Drittel mehr Großinsolvenzen
Für Unternehmen mit mehr als 10 Mill. Euro Umsatz meldet die Restrukturierungsberatung Falkensteg einen Anstieg der Insolvenzen im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Drittel auf 364 Fälle, die zusammen für 27,4 Mrd. Euro Umsatz stehen. Dennoch ist die Zahl der Unternehmensverkäufe aus der Insolvenz konstant geblieben. Falkensteg beobachtet im Gegenzug eine Zunahme bei Sanierungen über einen Insolvenzplan. Wenn sich kein neuer externer Investor findet, sei der Insolvenzplan häufig ein „letzter Anker“ zur Generierung einer Fortführungslösung, sagt Falkensteg-Partner Jonas Eckhardt. Für die Gläubiger seien diese Fälle regelmäßig mit hohen Verlusten verbunden, die Insolvenzquote liege oft bei lediglich 1 bis 3% der offenen Forderungen.
Einige der Großunternehmen, die 2024 einen Insolvenzantrag gestellt haben, sind bereits aus dem Markt verschwunden. In 59 Fällen wurde das Insolvenzverfahren wegen Masseunzulänglichkeit gar nicht erst eröffnet oder der Betrieb eingestellt. Unter den Marktaustritten waren prominente Namen wie der Reiseanbieter FTI Touristik und die Modekette Esprit.
Höchster Oktoberstand seit zehn Jahren
Wegen des Zeitverzugs zwischen Antrag und gerichtlicher Entscheidung liegen für das aktuelle Insolvenzgeschehen endgültige Ergebnisse erst für Oktober vor: Den Meldungen der Amtsgerichte zufolge stieg die Zahl der beantragten Unternehmensinsolvenzen im Monatsvergleich um 35,9% auf 2.012. Laut DIHK ist dies der höchste Stand in einem Oktober seit zehn Jahren. Die daraus entstandenen Forderungen der Gläubiger bezifferten die Amtsgerichte auf rund 3,8 Mrd. Euro, nach rund 1,6 Mrd. Euro im Jahr zuvor. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen kletterte binnen Monatsfrist um 10,8% auf 6.237.
„Deutliches Warnsignal“
“Die neuen Insolvenzzahlen sind ein deutliches Warnsignal", betonte DIHK-Chefanalyst Volker Treier. 2024 dürften deutlich mehr als 20.000 Betriebe in die Insolvenz gerutscht sein, und auch der Ausblick auf das Jahr 2025 gebe wenig Grund zur Hoffnung. Laut DIHK-Umfragen erwarten fast neun von zehn Unternehmen stagnierende oder schlechtere Geschäfte. Insbesondere im Baugewerbe, in der Gastronomie und im Kraftfahrzeugbau hinterlasse die aktuelle Krise tiefe Spuren.
Unter den Wirtschaftszweigen gab es im Oktober im Bereich Verkehr und Lagerei mit 11,5 Fällen je 10.000 Unternehmen erneut die meisten Insolvenzen. An zweiter Stelle kamen das Baugewerbe mit 8,9 Fällen und das Gastgewerbe mit 8,9 Pleiten. Über alle Branchen hinweg gab es im Oktober durchschnittlich 5,9 Insolvenzen bezogen auf 10.000 Unternehmen.
Vor allem Nachholeffekt
Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) macht die aktuellen Konjunkturprobleme und Kostensteigerungen bei Energie und Löhnen nur teilweise für die hohen Insolvenzzahlen verantwortlich: „Jahrelang extrem niedrige Zinsen haben Insolvenzen verhindert, und während der Pandemie sind Insolvenzen aufgrund von Subventionen wie zum Beispiel dem Kurzarbeitergeld ausgefallen“, sagt IWH-Experte Steffen Müller. Der Zinsanstieg und der Wegfall der Subventionen hätten ab 2022 Nachholeffekte bei Insolvenzen ausgelöst. Die hohen Insolvenzzahlen nun seien „schmerzhafte, aber notwendige Marktbereinigungen, die Platz für zukunftsfähige Unternehmen machen“.
Bis Ende 2025 könnten auch bis zu 231.000 mittelständische Unternehmen den Betrieb stilllegen. Das sind laut dem Nachfolgemonitoring Mittelstand der KfW 67.500 mehr als im vergangenen Jahr.
„Eine rasch wachsende Zahl an Unternehmerinnen und Unternehmern, die sich aus dem Erwerbsleben
zurückziehen möchten (Stichwort: Babyboomer) trifft auf anhaltend geringes Interesse an Existenzgründungen“, begründet dies KfW-Mittelstandsexperte Michael Schwartz. Vor allem
gebe es zu wenige Interessenten, die ein bestehendes Unternehmen übernehmen möchten.
Im Vergleich zur KfW-Erhebung des Vorjahres ist nun das Erreichen des Rentenalters der Hauptgrund für eine Stilllegung (62%). Die vorherige Nummer eins, das mangelnde Interesse der Familie, folgt nun mit 47% der Nennungen auf Platz zwei. Weitere Gründe sind das Übermaß der Bürokratie (30%) oder eine nicht erfolgreiche (17%) bzw. zu aufwendige Nachfolgersuche (13%).
Bericht Seite 9
Im Datenraum Seite 24