Wann senkt die EZB die Zinsen?
Die Falken müssen Federn lassen
Verfechter einer restriktiven Geldpolitik im EZB-Rat laut Deka unter Druck – Leitzinssenkungen 2024 sehr wahrscheinlich
Zinserhöhungen sind vom Tisch, stattdessen lautet die große Frage, wann die Europäische Zentralbank (EZB) zum ersten Mal die Leitzinsen senken wird. Die Marktreaktionen der vergangenen Woche hält die Deka für übertrieben. Sie ist im Lager derer, die nicht auf eine geldpolitische Lockerung bereits im Frühjahr setzen.
mpi Frankfurt
An den Finanzmärkten verfestigt sich die Erwartung an eine erste Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Frühling 2024. Die EZB will derzeit öffentlich von Zinssenkungsdebatten überhaupt nichts wissen und hält eine erste Lockerung vor dem Sommer für unplausibel. Angesichts des abnehmenden Inflationsdrucks preist auch der Deka-Zinskompass, der vor jeder Zinssitzung der Notenbank in der Börsen-Zeitung erscheint, inzwischen für 2024 zwei Zinssenkungen um insgesamt 100 Basispunkte ein – die allerdings erst ab der zweiten Jahreshälfte erfolgen.
„Noch kann man nicht von einem gänzlich neuen geldpolitischen Bild sprechen, aber die bisherigen Eindrücke der Persistenz des Inflationsprozesses werden schwächer“, sagt Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater. „Damit verliert die Position des Falkenlagers im EZB-Rat an Durchschlagskraft.“ Kater rechnet damit, dass die Falken, also die Vertreter eines eher restriktiven geldpolitischen Kurses, bereits bei der Sitzung am Donnerstag im EZB-Rat unter Druck geraten. „In den öffentlichen Verlautbarungen dürfte davon allerdings nichts zu spüren sein“, vermutet Kater.
Keine Eile bei Zinssenkungen
Die Inflation in der Eurozone ist im November mit 2,4% auf den niedrigsten Stand seit Juli 2021 gefallen. Im Dezember dürfte sie allerdings wieder auf etwa 3% steigen. Ökonomen sind sich uneins, wie sehr sich die Inflation im kommenden Jahr dem 2-Prozent-Ziel der EZB nähert. Manche Volkswirte rechnen damit, dass die EZB die Marke 2024 sogar bereits erreicht. Kater mahnt zur Vorsicht. „Gerade beim Inflationsbild sprechen die persistenten Elemente wie die Kernrate sowie die Lohnentwicklung im Euroraum noch nicht für eine ausreichende Gewissheit, dass das Inflationsziel von 2% wirklich in Reichweite ist.“ Bei Zinssenkungen sei daher keine Eile geboten.
Die Kernrate, die als Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck gilt, da sie die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise ausklammert, lag im November deutlich über der Gesamtrate. Doch auch die Kerninflation deutet auf einen abnehmenden Preisdruck hin. Lange Zeit blieb sie hartnäckig nahe ihrem Höhepunkt von 5,7%. Seit August schwächt sie sich deutlich ab. Zuletzt sank sie von 4,2% im Oktober auf 3,6% im November.
Am Arbeitsmarkt scheint die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale gebannt. Offen bleibt jedoch, wie stark die Lohnerhöhungen angesichts der Reallohnverluste der vergangenen Jahre ausfallen werden. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hält es erst im kommenden Frühjahr für möglich, Aussagen darüber zu treffen, wie sehr die Löhne die Inflation 2024 anheizen werden.
Dienstleistungen im Fokus
Wichtig für die Inflationsentwicklung wird auch die Teuerung im Dienstleistungssektor werden. Hier nahm die Inflation in diesem Jahr lange zu. Dies steigerte die Befürchtungen, dass die Verbraucherpreise insgesamt noch längere Zeit deutlich oberhalb des Teuerungsziels der EZB liegen werden. Inzwischen lässt die Teuerung bei Dienstleistungen nach.
Kater mahnt jedoch, diese Entwicklung nicht überzubewerten. Der Rückgang der Inflationsrate im Servicesektor beruht laut dem Deka-Chefvolkswirt zu einem großen Teil auf einem nachlassenden Reopening-Effekt in den Bereichen Tourismus und Verkehr sowie ihren in diesem Jahr höheren Gewichten im Warenkorb, der zur Messung der Inflation verwendet wird. „Bei den übrigen Dienstleistungen lässt der Preisauftrieb nur langsam nach und ist für ein nachhaltiges Erreichen des Inflationsziels weiterhin zu hoch“, meint Kater.
Sollte sich der Trend einer Beruhigung bei den Dienstleistungspreisen jedoch fortsetzen, sieht er die Tauben im EZB-Rat, also die Verfechter einer eher lockeren Geldpolitik, im Aufwind. „Damit wäre die Position der Falken im EZB-Rat erschüttert, die stets mit einer Persistenz durch Zweitrundeneffekte argumentiert haben.“
Kreditvergabe nahezu erlahmt
Die Finanzierungssäule des Zinskompasses ist mit 14,8 Punkten fast unverändert – obwohl sich die Kreditvergabe im Euroraum immer weiter verschlechtert. Im Oktober reichten Banken erstmals seit 2015 weniger Firmenkredite aus als im Vorjahresmonat. Dem stehen allerdings nach wie vor relativ niedrige Außenfinanzierungskosten der Unternehmen gegenüber. Firmen zahlen bei der Kapitalaufnahme im Vergleich zum Leitzins historisch geringe Aufschläge. Dieser Umstand verringert die restriktiven Auswirkungen der derzeitigen Geldpolitik.