Die Geldmenge erhitzt die Gemüter
Die Geldmenge erhitzt die Gemüter
mpi Frankfurt
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Diskussion unter Ökonomen über Aussagekraft für die Geldpolitik – EZB-Direktorin Schnabel rät zu differenzierter Betrachtung
Die Zahl der Ökonomen und Notenbanker, die die Geldmenge für einen relevanten Indikator für die Geldpolitik halten, ist in den vergangenen Jahrzehnten geschrumpft. Auch, weil die Korrelation ab den 1980er Jahren geringer wurde. Welche Argumente beide Lager für ihre jeweilige Position vortragen.
Sie gehört zu den Daten, welche die EZB monatlich veröffentlicht und stets in der Stellungnahme nach einem Zinsentscheid erwähnt: die Geldmenge. Doch ihre Bedeutung für die Geldpolitik ist umstritten – unter Ökonomen wie unter Notenbankern. Richteten etliche Währungshüter wie die Bundesbank vor Jahrzehnten die Geldpolitik sogar noch anhand der Geldmenge aus, wird sie jetzt von vielen Notenbankern eher stiefmütterlich behandelt.
„Wenn ich die Geldpolitik der EZB prognostiziere, brauche ich nicht auf die Geldmenge zu schauen“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. „Die Geldmenge spielt für die EZB keine nennenswerte Rolle.“ Er gehört zu denjenigen Volkswirten, die sich wünschen, dass sich das ändert. „In bestimmten Phasen liefert die Geldmenge einen beträchtlichen Inflationsgehalt, den die EZB nutzen sollte.“
Korrelation schwankt
Krämer verweist dabei unter anderem auf eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). In dieser kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die Inflationsprognosen der EZB für 2021 und 2022 deutlich besser ausgefallen wären, hätte man die Geldmenge berücksichtigt. „Es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass Geldmengenwachstum und Inflation in letzter Zeit eng miteinander verbunden waren“, schreiben die BIZ-Autoren in ihrer Anfang 2023 veröffentlichten Studie.
In anderen Perioden sieht die Lage nicht so aus. Ab den 1980ern war die Korrelation zwischen Geldmenge und Inflation in vielen Ländern schwach. Kein Wunder, sagt der Ökonom Dirk Ehnts. Er sieht keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Geldmenge und der Inflation. „Diese Theorie beschreibt die Empirie nicht“, sagt Ehnts, der als prominentester deutscher Vertreter der Modern Monetary Theorie (MMT) gilt. „Ein Unternehmer schaut bei der Preissetzung nicht auf die Geldmenge, sondern auf die Produktionskosten.“ Für Ehnts ist die Entwicklung der Löhne und der Produktivität der entscheidende Faktor für die langfristige Inflationsentwicklung.
Zwischenziel der EZB?
Krämer hält dagegen. „Wenn die Teuerungsrate kaum schwankt, lässt sich statistisch kein Zusammenhang zwischen Inflation und Geldmengenwachstum feststellen“, sagt er. „Dieses Schicksal teilt die Geldmenge aber mit allen anderen Faktoren, wie beispielsweise den Lohnstückkosten.“ Der schwache Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation in den zwei Jahrzehnten vor Corona sei deshalb kein Beleg dafür, dass die Geldmenge als Inflationsindikator versagt. Die EZB sollte laut Krämer daher der Geldmenge eine größere Rolle bei der Formulierung ihrer Geldpolitik einräumen.
Das würde Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors (AGI), begrüßen. „Ein Ignorieren der Geldmengen- und Kreditvergabeentwicklung wäre fahrlässig“, sagt er. Die Geldmenge ist für ihn ein guter Indikator dafür, ob sich die EZB auf dem richtigen Kurs befindet oder nicht. „Angesichts der Tatsache, dass sich geldpolitische Maßnahmen in aller Regel erst nach eineinhalb bis zwei Jahren auf die Teuerungsraten auswirken, ist es sinnvoll, Zwischenziele zu definieren und zu beachten“, meint Mainert. „Die Geldmengenentwicklung bietet sich hierfür als ein möglicher Kandidat an – sicherlich nicht absolutistisch, aber als wichtige Nebenbedingung.“
Schnabel plädiert für Differenzierung
Florian Kern vom Thinktank Dezernat Zukunft hält die Geldmenge hingegen für einen schlechten Berater für Notenbanken. Eine Erhöhung der Geldmenge durch eine Zentralbank führe nicht zu einer höheren Kreditvergabe und damit einer höheren gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, schreibt Kern in einem Beitrag für den Thinktank. Ehnts führt zudem an, dass bei einer höheren Nachfrage die Unternehmen einfach das Angebot ausweiten könnten, statt die Preise anzuheben. „Wir leben in Europa nicht in einer Welt mit ausgeschöpfter Produktionsauslastung der Unternehmen“, sagt Ehnts.
Und wie stehen die Notenbanker selbst zu dem Thema? EZB-Direktorin Isabel Schnabel hat im vergangenen Jahr eine Rede mit dem Titel „Die Geldmenge lieber nicht ausblenden“ gehalten. Darin argumentierte sie, dass der Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum, Anleihekäufen und Inflation komplexer und subtiler ist als oft dargestellt. So führen Anleihekäufe der EZB nicht zwangsläufig zu einer höheren Geldmenge M3. „Bei Transaktionen des Eurosystems mit Banken oder mit Geschäftspartnern außerhalb des Euroraums, die oft die breite Masse an Verkäufern bilden, bleibt die erweiterte Geldmenge M3 unverändert.“ Zu M3 zählen Bargeld, Einlagen auf Girokonten sowie Geldmarktpapiere und Schuldverschreibungen. Sie ist die Geldmenge, um die es in der geldpolitischen Debatte geht.
Die Wirkung von Anleihekäufen auf M3 und somit auf die Inflation hänge in erster Linie vom wirtschaftlichen Umfeld und nicht von der Verfügbarkeit von Zentralbankgeld ab, schlussfolgert Schnabel. Die Geldmenge sei daher ein relevanter Indikator für die Geldpolitik, den man jedoch nicht isoliert betrachtet analysieren dürfe.
Teil der EZB-Strategieüberprüfung?
Die Bundesbank hat sich im vergangenen Jahr in einem Monatsbericht ebenfalls des Themas angenommen. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation womöglich geringer ist, als es die Quantitätstheorie nahelegt, die eine Kausalität zwischen Preisniveau und Geldmenge unterstellt. Der Zusammenhang sei aber vorhanden.
Commerzbank-Chefökonom Krämer wünscht sich, dass das Thema Geldmenge auf der Agenda bei der Strategieüberprüfung der EZB landet. Die Ergebnisse der Beratungen des Rats wird die EZB voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2025 präsentieren. Ob die Geldmenge dabei eine Rolle spielen wird, ist ungewiss.