Ukraine-Konflikt

Die große Furcht vor Preisschocks

Die gesamtwirtschaftlichen Folgen von Sanktionen gegen Russland gelten als verkraftbar – wäre da nicht die Furcht vor ausbleibenden Gas- und Rohstofflieferungen. Auch mehrere Banken sind in Sorge.

Die große Furcht vor Preisschocks

ms/rec/est Frankfurt/Moskau

Un­ternehmen und Banken in der Eurozone treibt nach der Eskalation im Ukraine-Konflikt die Furcht vor Sanktionen um. Verbände und Ökonomen sehen in einem Energiepreisschock das größte Risiko für die hiesige Konjunktur. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen eines möglichen Kollapses im Außenhandel mit Russland gelten hingegen als begrenzt. In Europa zittert manche Bank: Vor allem Institute in Österreich, Italien und Frankreich sind weltweit mit am stärksten in Russland engagiert.

Exporte nach Russland machen gerade einmal knapp 2% der deutschen Ausfuhren aus. Damit liegt Deutschland unter den bedeutenden Volkswirtschaften der Eurozone an der Spitze (siehe Grafik). Eher kurzfristiger Natur dürfte zudem sein, dass höhere Unsicherheit auf dem Konsum- und Investitionsklima lastet. Risiken sehen Ökonomen in erster Linie in ausbleibenden Rohstofflieferungen. Die Abhängigkeit beim Import von Gas und Palladium ist hoch. Auch bei Aluminium und Kupfer drohen in vereinzelten Branchen Engpässe. Dazu kommen Sorgen vor einer Ölkrise: In einem „Worstcase-Szenario“ hält Neil Shearing, Chefvolkswirt von Capital Economics, einen Anstieg des Ölpreises auf bis zu 140 Dollar pro Fass für möglich.

Notenbanken in Zwickmühle

Ifo-Präsident Clemens Fuest warnte bereits kurz vor der Eskalation in der Ukraine-Krise vor einem Preisschock bei Öl und Gas, wenn Russland in die Ukraine einmarschiere. „Selbst wenn die Gaslieferungen nicht eingeschränkt würden, käme es zu einem Preisschock, jedenfalls vorübergehend“, sagte Fuest. „Das träfe private Haushalte und Industrie in Deutschland gleichermaßen“. Weniger Wachstum, noch höhere Energiepreise und somit mehr Inflation – das kommt für die Zentralbanken zur Unzeit und verstärkt ihre Zwickmühle. Schon jetzt liegt die Inflation vielerorts deutlich über dem verbreiteten 2-Prozent-Ziel: in den USA bei mehr als 7%, in Euroland bei mehr als 5%. Und sie hält sich sehr viel hartnäckiger als lange gedacht. Die US-Notenbank Fed hat deshalb eine radikale Kehrtwende vollzogen und eine spürbare Verschärfung ihrer Geldpolitik ab März avisiert. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) steuert nach langem Zögern auf eine etwas raschere Zinswende zu. Begleitet wird das stets von Sorgen um den Aufschwung.

Die Eskalation der Ukraine-Krise schürt nun Spekulationen, dass die Zentralbanken vorsichtiger agieren könnten. Das gilt vor allem für die EZB. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, glaubt etwa, dass die EZB bei ihrer März-Sitzung nun mehr Vorsicht walten lassen und noch stärker betonen wird, dass sie sich selbst bei einem Zurückfahren des geldpolitischen Stimulus alle Optionen offenhalten wird. An den Finanzmärkten wird inzwischen nur noch eine EZB-Zinserhöhung im Jahr 2022 eingepreist. Vergangene Woche waren es noch zwei Schritte.

Einige Beobachter und auch so mancher Notenbanker ist der Ansicht, dass es ein Glaubwürdigkeitsproblem darstellen könnte, wenn die Zentralbanken nun die Geldpolitik wie avisiert normalisieren und rasch zurückrudern müssten, falls die Wirtschaft abschmiert oder es Turbulenzen an den Finanzmärkten gibt. Andere argumentieren, dass es mindestens genauso ein Risiko für die Glaubwürdigkeit sei, wenn die Währungshüter auf die weiter recht positiven makroökonomischen Daten und insbesondere die hohe Inflation nicht reagieren. Im Hintergrund steht die große Sorge vor einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale wie in den 1970er Jahren.

Banken vor Problemen

Probleme könnten etliche Banken bekommen. Wie die US-Bank J.P. Mor­gan unlängst ausführte, würden vor allem europäische Banken mit Tochterfirmen in Russland Sanktionen zu spüren bekommen. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. J.P. Morgan nannte eine Reihe von Banken mit beträchtlichem Engagement in Russland, darunter die italienische Großbank Unicredit, die österreichische Raiffeisen Bank International (RBI), Société Générale aus Frankreich und die niederländische ING.

RBI erklärte laut Reuters, im Falle einer Eskalation würden Krisenpläne in Kraft treten. Das Bankhaus mit Sitz in Wien ist sowohl in der Ukraine als auch in Russland aktiv. ING teilte mit: „Ein weiter eskalierender Konflikt könnte erhebliche negative Folgen haben.“ Banken in Italien und Frankreich stechen mit jeweils ausstehenden Forderungen in Russland von rund 25 Mrd. Dollar im dritten Quartal 2021 hervor. Das zeigen Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Die Forderungen österreichischer Institute in Russland lagen demnach zu diesem Zeitpunkt bei 17,5 Mrd. Dollar.

Die deutschen Banken fordern im Fall neuer Sanktionen klare, unmissverständliche Vorgaben. „Für die Banken ist entscheidend, dass Sanktionen hinreichend präzise und eindeutig formuliert sind, das heißt, keine Auslegungsfragen offenlassen“, hieß es beim Bankenverband BdB.

Auch andere europäische Unternehmen sind derweil „in Aufruhr“, heißt es bei der Vertretung der EU-Wirtschaft in Russland. „Bei uns laufen die Telefone heiß“, berichtet Paul Bruck, Vizepräsident im Aufsichtsrat der Association for European Businesses (Aebrus). Lebendig ist die Erinnerung an die Ereignisse nach der Krim-Annexion 2014. Seinerzeit führten Sanktionen zu schweren Einbußen im Russlandgeschäft, zumal Moskau mit einem Importembargo auf westliche Agrarprodukte reagierte und damit fast ausschließlich die EU-Staaten traf. Unternehmen aus der EU verloren kräftig Marktanteile: Von zuvor über 50% am russischen Handelsvolumen sankt ihr Anteil auf unter 38%. Einer der Hauptprofiteure war China – und wäre es wohl auch diesmal. Allenfalls hinter vorgehaltener Hand redet man in Europas Wirtschaft auch darüber, dass Sanktionen für US-Unternehmen vergleichsweise wenig schmerzhaft sind, weil ihr Russlandgeschäft marginal ist.

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