Standpunkte

Die Positionen der Parteien im Überblick

Wie sieht eine gute Klimapolitik aus? Wie kann Deutschland den Strukturwandel in den Griff bekommen und worauf kommt es in der Finanzpolitik an? Das ist die Haltung der Parteien zu den wichtigsten Fragen der Bundestagswahl.

Die Positionen der Parteien im Überblick

Klima entscheidet über Koalition: Der Klimawandel war eines der bestimmenden Themen im Bundestagswahlkampf. Vor allem das Wahlprogramm der Union blieb beim Klimaschutz zwar erstaunlich vage. Anfang September bot Armin Laschet, der Spitzenkandidat der Union, aber doch noch ein dreiköpfiges „Klimateam“ auf, das einen 15-Punkte-Plan vorstellte, der die „Energiewende als Motor für den Klimaschutz und neue Arbeitsplätze“ bewarb. Den Mitgliedern von Laschets Klima-Team – dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion Andreas Jung, dem Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann sowie der Landesvorsitzenden der Jungen Union Bremen, Wiebke Winter – könnte nach der Wahl eine besonders wichtige Rolle zukommen.

Denn um in Regierungsverantwortung zu bleiben, wird die Union neben der FDP wohl auch auf die Grünen angewiesen sein. Die Grünen haben sich in den vergangenen Tagen auf eine Koalition mit der SPD festgelegt. Um ihnen nach der Wahl doch noch ein Bündnis mit der Union schmackhaft zu machen, wird ein ambitioniertes Klimaprogramm eine Voraussetzung sein. Das sollte auch eine ehrgeizige Klimaaußenpolitik mit einschließen, wenn es nach Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), geht. „Wir müssen über eine Klimaaußenpolitik sprechen, die es uns erlaubt, China und die USA zu involvieren“, sagte Edenhofer jüngst zur Klimapolitik im Wahlkampf. Das Klima wird in den Koalitionsverhandlungen eine entscheidende Rolle spielen.

Vorfahrt für Strukturwandel: Lieferengpässe, knappe Rohstoffe und Fachkräftemangel lasten hierzulande zunehmend auf dem Wirtschaftsstandort. Industriepräsident Siegfried Russwurm ist da klar: „Deutschland braucht eine Wachstums- und Investitionsoffensive.“ Die nächste Regierung muss die Wettbewerbskraft stärken. Für kontraproduktiv hält der Industrieverband BDI Enteignungen, Verstaatlichung, Verbote, mehr Regulierungen und zusätzliche Steuerbelastungen, die sich bei einer Regierung mit SPD und Grünen abzeichnen.

Die Arbeitgebervereinigung BDA skizzierte kurz vor dem Wahltag ein 100-Tage-Programm für die neue Regierung: Investitionen und Digitalisierung der Verwaltung müssen beschleunigt werden, weitere Belastungen bei Steuern und Sozialbeiträgen ausbleiben. Einstieg und Aufstieg soll durch flexible Arbeitsformen möglich sein – etwa durch befristete Arbeit. Zudem fordert die BDA ein einfaches und beschleunigtes Verfahren für die gezielte Zuwanderung qualifizierter Kräfte. Koordinieren soll den Strukturwandel ein Staatsminister im Kanzleramt. Zur Industriepolitik gibt es in den Wahlprogrammen Schnittmengen bei Union, FDP und Grünen. Union und Liberale setzen auf ein Entfesselungspaket. Die Grünen kündigen ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen an. SPD-Kandidat Olaf Scholz verspricht vor Arbeitern zwar, alles dafür zu tun, damit Deutschland als Industrieland wettbewerbsfähig bleibt – im Wahlprogramm setzt die SPD aber weniger auf wettbewerbsfähige Unternehmen, sondern auf die KfW als Förderinstitut.

Chief Digital Officer mit Ministerium: Wenn es ein Thema gibt, über das sich alle Parteien im Wahlkampf einig waren, dann ist es der eklatante Nachholbedarf in der Digitalisierung der Verwaltung und im Bildungssektor. Armin Laschet will nach der Wahl deshalb ein eigenes Digitalministerium einrichten, das sich um Digitalisierung als Querschnittsthema in allen Arbeitsbereichen der Bundesregierung kümmert.

Für ein Digitalministerium sprechen sich auch Experten wie Martin Schallbruch, der Direktor des Instituts für Digitale Gesellschaft an der European School of Management and Technology in Berlin aus. „Ich habe selbst lange gegen ein Digitalministerium argumentiert, auch als ich noch selbst im Innenministerium als Abteilungsleiter für diese Fragen zuständig war. Wir wollten die anderen Ministerien nicht aus der Verantwortung für Digitalisierung entlassen. Jetzt haben wir aber die umgekehrte Situation: Alle bearbeiten viele Digitalthemen, arbeiten aber nebeneinander her“, sagte Schallbruch jüngst zu den Hausaufgaben in der Digitalpolitik. „Alles, was Querschnitt ist, was alle Ministerien betrifft, dauert viel zu lange, weil es keine vernünftige Koordinierung gibt“, sagte der Digitalexperte. Auch der Branchenverband Bitkom spricht sich deshalb für ein Digitalministerium aus. Zieht SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz ins Kanzleramt ein, will er Digitalisierung zur Chefsache machen, statt ein eigenes Ministerium damit zu betrauen. Mit Scholz könnte erstmals auch ein Chief Digital Officer im Kanzleramt einziehen.

Finanzen scheiden die Parteien: An Steuern scheiden sich die Geister in dieser Bundestagswahl. SPD, Grüne und Linke setzen auf Erhöhungen, um innerhalb der Einkommensschichten stärker umzuverteilen und zusätzlich Geld für den Fiskus zu sichern. Die Union will kleine und mittlere Einkommen entlasten – die CDU, wenn das Geld reicht, die CSU auf jeden Fall. Im Wahlprogramm haben sich die Unionsschwestern zunächst auf einen Kassensturz verständigt und darauf, dass sie keine Steuern erhöhen werden. Einen klaren Steuersenkungskurs vertritt die FDP. Sie will wie die Union den Solidaritätszuschlag abschaffen, den noch diejenigen oberen Einkommen tragen, die für die Hälfte des Aufkommens stehen.

Neue Steuern stehen bei SPD, Grünen und der Linken auf der Agenda. Sie betreffen die Vermögensteuer und eine Steuer auf Finanztransaktionen. Auch die Erbschaftsteuer soll steigen. Dabei treibt die Wahlkämpfer in der Finanzpolitik die Frage um, wie nach der hohen Verschuldung in der Coronakrise der Etat wieder ins Lot kommen soll. Die Grünen wollen die Schuldenbremse lockern, um öffentliche Investitionen zu finanzieren. In der SPD hat sich nun Parteivorsitzende Saskia Esken geoutet: Sie hält es für selbstverständlich, „Investitionen in Bildung, Klimaschutz, Digitalisierung und sozioökonomischen Wandel“ über Kredit zu finanzieren. Dies müsse Vorrang vor einem ausgeglichenen Haushalt haben. Union und FDP halten an der Schuldenbremse fest. Dies führt nicht zwangsläufig zu einem ausgeglichenen Haushalt, denn auch die Schuldenbremse lässt neue Kredite zu.

Europa: Same, same but different: Der Brüsseler Thinktank CEPS (Centre for European Policy Studies) hat in einer am Donnerstag veröffentlichten Analyse darauf verwiesen, dass Bundestagswahlen immer von einem besonderen Interesse für die Europapolitik seien – allein weil der Wahlsieger im Anschluss den unangefochtenen Wirtschaftsriesen in der EU repräsentiert. Aber wie beim letzten Mal, so sei es auch jetzt „unwahrscheinlich“, dass diese Wahl große Veränderungen mit sich bringe, obwohl es wohl der unvorhersehbarste Wahlzyklus seit fast 20 Jahren war, meint das CEPS. Ist das auch der Grund, warum das Thema EU im Wahlkampf so ignoriert wurde? Weil sich an der Europapolitik Berlins ohnehin nichts ändern wird?

Ganz so einfach ist es nicht, haben die Parteien doch in der Klima- sowie der Finanz- und Wirtschaftspolitik recht unterschiedliche Vorstellungen, wie es in Brüssel weitergehen soll. In vielen Punkten liegen Union und FDP auf einer ähnlichen Wellenlänge, ebenso wie SPD und Grüne. Einer Verstetigung des Aufbaufonds, einer Lockerung der Haushaltsregeln, einer Einführung neuer Eigenmittel oder einer EU-Einlagensicherung stehen Christdemokraten und Liberale deutlich skeptischer gegenüber als die integrationsfreudigere Konkurrenz. Eine grüne Regierungsbeteiligung könnte der EU-Klimapolitik dagegen neuen Schub geben. Ampel oder Jamaika? Auch für den künftigen EU-Kurs ist das eine entscheidende Frage. Eine thailändische Redensart liefert aktuell wohl die beste Prognose, wie es weitergeht: Same, same, but different.

Finanzmarkt im toten Winkel: Der Finanzmarkt ist in diesem Wahlkampf wieder unterbelichtet. Bei der Bundestagswahl 2009 hatte das Thema noch Konjunktur. Auch Nichtspezialisten hatten nach der Finanzkrise die Bedeutung der Kapital- und Kreditmärkte erkannt – vor allem dann, wenn etwas schiefläuft. Als strengere Regulierung alles zu regeln schien, flaute das politische Interesse an dem Thema schnell wieder ab. Dabei spielt ein funktionierender Finanzmarkt eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung des Umbaus der Industrie zur Klimaneutralität. Banken und Sparkassen können durch die strengeren Vorgaben nach der Finanzkrise nur einen Teil davon leisten. Die Kapitalmärkte werden gebraucht.

Die angespannte Lage zwischen Kreditwirtschaft und Politik nach der Rettungsaktion mit Steuergeldern hat sich eine Dekade später merklich gelockert. Umso erstaunlicher ist es, dass die Grünen und die Linke ausweislich ihres Wahlprogramms die Zerschlagung von Banken fordern. Die Grünen zielen auf ein echtes Trennbankensystem; die Linke will Banken verstaatlichen und demokratisch kontrollieren. Auch die FDP vertritt ein Extrem: Sie fordert den kompletten Rückzug des Staates aus dem Geschäftsbankensektor und nennt dabei explizit Commerzbank und Landesbanken. Die Liste der Finanzmarktakteure, was Europa für einen wettbewerbsfähigen Finanzmarkt braucht, ist lang und konkret. In den Wahlprogrammen geht es aber über pauschale Versprechen wie die Ankündigung der Vollendung von Bankenunion und Kapitalmarktunion kaum hinaus.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.