„Düsteres Bild der deutschen Wirtschaft“
Die deutsche Wirtschaft ist im August so stark geschrumpft wie seit den Anfängen der Corona-Pandemie nicht mehr. Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft – Industrie und Service-Sektor zusammen – sank um 0,5 auf 47,6 Punkte. Das sei der niedrigste Stand seit Juni 2020, teilte der Finanzdienstleister S&P Global zu seiner monatlichen Umfrage unter rund 800 Unternehmen mit. Damit liegt das an den Finanzmärkten viel beachtete Barometer merklich unter der Marke von 50, ab der es ein Wachstum signalisiert. Von Reuters befragte Ökonomen hatten sogar mit einem etwas stärkeren Rückgang auf 47,4 Stellen gerechnet.
Höhere Inflation und Zinsen bremsen
S&P-Ökonom Phil Smith zufolge zeichnen die Daten „ein düsteres Bild von der deutschen Wirtschaft“. Besonders die hohe Inflation und die gestiegenen Zinsen hätten den Umfrageteilnehmern zufolge der Nachfrage massiv geschadet, betonte er. Dadurch sei die anhaltende Schwäche der Industrie durch die Abkühlung im Servicesektor verstärkt worden.
Weniger neue Jobs
Angesichts der hohen Energiepreise sowie des Lohndrucks, der Materialengpässe, der Lieferkettenproblematik, dem Facharbeitermangel und einer schwächeren Weltwirtschaft wehe den Unternehmen viel Gegenwind entgegen, urteilt Commerzbank-Analystin Antje Praefcke. Insofern wirkt sich die Konjunkturabschwächung wohl auch zunehmend negativ auf die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen aus. Das Stellenplus fiel im August so mager aus wie seit fast anderthalb Jahren nicht mehr. Zudem gab es den ersten Rückgang der Auftragsbestände seit mehr als zwei Jahren, meldete S&P. Dies könnte das Beschäftigungswachstum zusätzlich bremsen.
Die Experten sehen aber auch einige Lichtblicke. „Positiv anzumerken ist, dass sowohl die Lieferengpässe als auch der Kostenauftrieb nachgelassen haben“, sagte Smith. Dies habe mit dazu beigetragen, dass sich der Geschäftsausblick wieder leicht verbessert hat. Da die Gefahr einer Energiekrise jedoch nach wie vor groß sei, blieben die Aussichten von Unsicherheit geprägt, warnte der Ökonom vor zu großem Optimismus
Euro-Wirtschaft schrumpft
Auch im Euroraum insgesamt hat sich die Unternehmensstimmung weiter eingetrübt und ist auf den tiefsten Stand seit 18 Monaten gefallen. Der Einkaufsmanagerindex fiel zum Vormonat um 0,7 Punkte auf 49,2 Zähler. Der Index sank auf den tiefsten Stand seit anderthalb Jahren und lag den zweiten Monat in Folge unter der Expansionsschwelle von 50 Punkten, die zwischen Wirtschaftswachstum und Schrumpfung trennt. Analysten hatten im Schnitt auch hier mit einem etwas deutlicheren Rückgang auf 49,0 Punkte gerechnet.
Deutlicher bergab ging es für den Bereich Dienstleistungen, der um einen Punkt auf 50,2 Zähler fiel und sich damit noch gerade so über der Expansionsschwelle hielt. Minimal schwächer zeigte sich der Index für die Industrie, der um 0,1 Punkte auf 49,7 Zähler fiel. Auch im Euroraum erweisen sich die steigenden Lebenshaltungskosten als Bremsklotz für Nachfrage. In der Industrie sei die Produktion auch wegen mangelnder Aufträge zum dritten Mal infolge zurückgefahren worden, berichtete S&P Global.
„Die aktuellen PMI-Daten deuten darauf hin, dass die Wirtschaftsleistung der Eurozone im dritten Quartal 2022 schrumpfen wird“, schreibt S&P-Experte Andrew Harker. Der Schwung durch gelockerte Corona-Maßnahmen im Dienstleistungssektor sei wegen der steigenden Lebenshaltungskosten zum Erliegen gekommen. Derweil türmten sich in den Industrie-Lagern fertige Waren, für die wegen der sinkenden Nachfrage keine Abnehmer zu finden seien, schreibt der Experte. „Dieser Überhang an Lagerbeständen lässt wenig Aussicht auf eine baldige Steigerung der Industrieproduktion erwarten.“
Trübe Aussichten
Ähnlich trübe beurteilten andere Volkswirte die Aussichten. Das „verlässlichste Konjunkturbarometer für den Euroraum“ liege in puncto Dienstleistungen nur noch minimal über „dem Niveau, das in der Vergangenheit gewöhnlich mit einer Rezession einherging“, schreibt Commerzbank-Ökonom Christoph Weil. Auch für das verarbeitende Gewerbe liege der Index im kritischen Bereich.
„Die Rezession hat bereits begonnen“, kommentierte Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Das verarbeitende Gewerbe kämpfe dabei mit einem „toxischen Mix“ aus weiter steigenden Energiekosten, drohender Gaskrise, Wetterkapriolen und steigenden Zinsen. Eine kleine positive Überraschung sei indes Deutschland gelungen. Weil sich die Situation in den Lieferketten etwas entspannt habe, sei der Kostenanstieg bei Vorprodukten ausgebremst worden.