Ukraine-Krieg

Ein „Sondervermögen Bundeswehr“ ist der falsche Weg

Mängel bei Beschaffung und Einsatz mindern den realen Wert des „Sondervermögens“ um die Hälfte. Sinnvoller wären zur Ertüchtigung eine grundlegende Strukturreform und eine dauerhafte Aufstockung des Haushaltspostens.

Ein „Sondervermögen Bundeswehr“ ist der falsche Weg

Auf die Bundesrepublik kommen er­hebliche Zukunftslasten zu, deren Bewältigung gesellschaftlichen Verzicht und einen großen finanziellen Mitteleinsatz erfordern: demografischer Wandel (Sozialhaushalte), Klimawandel (Umbau der Energieangebote, industrieller Strukturwandel), Modernisierung der Infrastruktur (Bildung, Verkehr, Digitalisierung), Integration der Migranten, EU-Finanzen (gemeinsame Schulden – Quasi-Eurobonds, EU-Umverteilung).

Keine Langfrist-Strategie

Die Politik reagiert in finanzieller Hinsicht weniger langfristig-strategisch denn kurzfristig-taktisch. Auf EU-Ebene steht die Rückkehr zur Defizitregel 2023 infrage. National wurde die Ausnahmeregelung zur Suspendierung der Schuldenbremse auch für den Haushalt 2022 gezogen, und im Zusammenhang mit dem zweiten Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 wird eine Zuweisung von 60 Mrd. Euro aus ungenutzten Kreditermächtigungen des Haushaltes 2020 in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) vorgenommen.

Diese drei Maßnahmen haben ein gemeinsames Ziel: Wie kann der Kreditspielraum für die seit langem bekannten, aber bislang von der Politik stark vernachlässigten Zu­kunftsprobleme abseits der Regeln zur Schuldenbegrenzung erweitert werden?

Der Ukraine-Krieg hat ein weiteres Versäumnis offenbart – die Gewährleistung der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die „eine staatliche Kernaufgabe“ (Grundgesetz-Änderung Art. 87a GG) darstellt, wurde über Jahrzehnte vernachlässigt. Dafür soll nun ein „Sondervermögen Bundeswehr“ mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Mrd. Euro abseits der Schuldenbremse errichtet werden. Im Gesetzentwurf heißt es: „Alter­nativen – Keine.“ Demgegenüber hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag mehrfach bekräftigt, die Schuldenregel einhalten zu wollen.

Was wären mögliche Alternativen? Üblicherweise werden Investitionsausgaben für Projekte, die auch in folgenden Haushaltsjahren zu Abflüssen führen, im Kernhaushalt über Verpflichtungsermächtigungen abgebildet. Dies betrifft gerade auch Rüstungsvorhaben, die auf mehrere Jahre angelegt sind und es dem Verteidigungsministerium ge­statten, Zahlungsverpflichtungen einzugehen, die erst in zukünftigen Haushaltsjahren zu Ausgaben führen werden – ein wohlerprobtes Instrument.

Haushaltsumschichtungen wären eine erste Finanzquelle. Die Möglichkeiten, Haushaltstitel zu kürzen und umzuschichten, dürften jedoch eher begrenzt sein – zumindest kurzfristig und in der angestrebten Größenordnung. Mittelfristig und bei entsprechendem politischen Durchsetzungswillen bieten allerdings allein die Subventionen in Höhe von insgesamt 206 Mrd. Euro (2020) bei einer 10-prozentigen Reduktion einen finanziellen Spielraum von ca. 20 Mrd. Euro jährlich.

Sollte dies nicht gelingen, bleiben Steuererhöhungen. Da der Finanzbedarf für die Auf- bzw. Nachrüstung der Bundeswehr mittelfristig und erheblich ist, bietet sich – ähnlich dem Solidaritätszuschlag für die „Kosten der deutschen Einheit“ – eine zeitlich befristete Ergänzungsabgabe „Landesverteidigung“ zur Einkommen- und Körperschaftsteuer an. Die Akzeptanz dürfte relativ hoch ausfallen, da es eine Quasi-Zweckbindung für einen überwiegend akzeptierten Mitteleinsatz gibt.

Ein grundsätzliches Problem des „Sondervermögens BW“ besteht in der mangelnden Vorsorge für Instandhaltung, Modernisierung und „Betriebsmittel“ (etwa Munition). Zum einen kennt die Kameralistik keine Instandhaltungsrücklagen, die in einer Bilanz (Doppik) einen Korrekturposten darstellen und dem Fremdkapital gleichkommen. Zum anderen dürfte der Sonderhaushalt nach ca. vier bis sechs Jahren aufgelöst sein. Dann sind die Beschaffungen getätigt, aber die Finanzierung der Folgekosten wäre ungelöst. Deshalb wäre stattdessen eine dauerhafte Aufstockung des Verteidigungsetats angezeigt, um das angestrebte Ziel einer „Ertüchtigung“ strukturell und dauerhaft anzugehen. Es besteht sonst die große Gefahr, dass die Bundeswehr mit dem geplanten Sondervermögen mittelfristig vor den gleichen Problemen stehen wird wie derzeit.

Strukturreform zwingend

Die Beschaffungsprozesse insbesondere für Großgeräte ließen in der Vergangenheit erhebliche Ineffizienzen erkennen, die im Ergebnis nicht nur zu sehr komplexen und teuren Systemen, sondern auch zu teils erheblichen Kosten- und Zeitüberschreitungen auf Basis der Planvorgaben führten. Langwierige Ausschreibungsverfahren bei mangelndem Wettbewerb, ein technologischer Imperativ bei zunehmender technischer Komplexität, nachträgliche Auftragsmodifikationen, unzureichende Rüstungskooperation mit internationalen Partnern und Neuentwicklungen statt IKEA-Prinzip: aussuchen, bezahlen, mitnehmen sind nur einige Stichworte.

Schließlich mangelt es an der Einsatzfähigkeit der Ausrüstung. Sie liegt – nach Angaben der Bundeswehr (2021) – im Durchschnitt aller 71 Hauptwaffensysteme bei 77%. Diesen Normwert übertrafen jedoch nur 38 Hauptwaffensysteme, 11 lagen unter 50%. Rechnet man – eher konservativ – die durchschnittlichen Effizienzverluste bei der Beschaffung von 25% und die der Einsatzdefizite von 23% zusammen, so reduziert sich der prognostizierte reale Wert des „Sondervermögens BW“ auf etwa 50 Mrd. Euro. Um nicht jeden zweiten Euro für Rüstungsausgaben versickern zu lassen, sollte – notfalls parallel – vor dieser Beschaffungswelle eine grundlegende Strukturreform des Beschaffungs- und Einsatzwesens durchgeführt werden.