Materialknappheit

Engpässe nähren Inflationssorgen

Die Engpässe bei vielen Materialien und die Störungen in den Lieferketten wachsen sich nicht nur immer stärker zur Gefahr für die deutsche Konjunktur aus – sie stellen auch immer mehr ein Inflationsrisiko dar.

Engpässe nähren Inflationssorgen

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Die Engpässe bei vielen Materialien und die Störungen in den Lieferketten wachsen sich nicht nur immer stärker zur Gefahr für die deutsche Konjunktur aus – sie stellen auch immer mehr ein Inflationsrisiko dar. Angesichts knapper Rohstoffe und Vorprodukte schnellen viele Preise in die Höhe. Auch in Deutschland macht sogar verstärkt das Wort „Stagflation“ die Runde. Gemeint ist das gleichzeitige Auftreten von wirtschaftlicher Stagnation und Inflation – ein Schreckensszenario.

Temporär oder dauerhaft?

Seit Jahresbeginn hat die Inflation in Deutschland – wie weltweit – deutlich und stärker als erwartet zugelegt. Im September erreichte sie 4,1%, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Donnerstag mitteilte – der höchste Stand seit fast vier Jahrzehnten (siehe Bericht auf Seite 6). Für den weiteren Jahresverlauf zeichnen sich sogar Werte von bis zu 5% ab.

Für diesen Inflationstrend sind zwar vor allem Basis- und Einmaleffekte verantwortlich: der Einbruch der Ölpreise im Frühjahr 2020, die zu Jahresbeginn ausgeweitete CO2-Abgabe und das Auslaufen der temporären Mehrwertsteuersenkung. Allerdings gibt es inzwischen starke Zweifel, dass der aktuelle Inflationsanstieg womöglich nicht so temporär ist wie lange gedacht. Und dabei sind es insbesondere die Engpässe und der dadurch ausgelöste Preisdruck auf den vorgelagerten Stufen, die es immer fraglicher erscheinen lassen, dass die Preise nur von Einmaleffekten getrieben werden.

Großhandels-, Import- und Erzeugerpreise in Deutschland – sie alle verzeichnen derzeit Anstiege, wie es sie seit den Ölkrisen der 1970er und 1980er Jahre nicht gegeben hat. Vergangene Woche hatte Destatis etwa gemeldet, dass die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte in Deutschland im August um 12,0% höher waren als im Vorjahresmonat. Das ist der höchste Anstieg seit Dezember 1974, in der ersten Ölkrise. Neben Energie verteuerten sich vor allem Vorprodukte wie Holz und Stahl. Und am Mittwoch meldete Destatis, dass sich die deutschen Importe im August wegen höherer Preise für Öl und Gas mit 16,5% so stark verteuert haben wie seit der zweiten Ölkrise 1981 nicht mehr.

„Wann das abebbt, ist schwer zu sagen“, sagt Finanzexpertin Silke Tober vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Die zugrundeliegenden Preissteigerungen etwa von Halbleitern seien zwar vorübergehend. Die Entwicklung dürfte aber bis Anfang nächsten Jahres anhalten oder sich zum Teil sogar bis ins zweite Halbjahr 2022 ziehen. Die große Frage ist dann, wie stark sich das am Ende auch in den Verbraucherpreisen niederschlägt. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des Ifo-Instituts wollen immer mehr Unternehmen ihre Preise erhöhen.

Auch die Volkswirte von Deutsche Bank Research sehen die Störungen der Lieferketten auch 2022 noch als „Inflationsrisiko“. „Die höhere Inflationsrate birgt das Risiko, dass kräftigere Lohnsteigerungen folgen und Zweitrundeneffekte auslösen. Dann könnte die Inflationsrate dauerhaft erhöht bleiben, zumal der konjunkturelle Nachholeffekt nach der Coronakrise noch bis in das Jahr 2022 anhalten dürfte“, so die DB-Research-Ökonomen Eric Heymann und Jochen Möbert.

Sorgen vor „Stagflation“

Von einem Stagflations-Szenario scheint die deutsche Wirtschaft aktuell noch weit entfernt: Vieles spricht nach wie vor dafür, dass sich die Inflationsraten 2022 zumindest wieder etwas ermäßigen. Und der kräftige Aufschwung scheint eher vertagt denn abgesagt. Die Sorgen über den Ausblick nehmen aber fraglos zu.

In Deutschland hat sich vor allem die CDU zuletzt auf die hohe Inflation und die Europäische Zentralbank (EZB) eingeschossen. CSU-Chef Markus Söder etwa forderte sogar eine „Inflationsbremse“ für die EZB. Spätestens bei 5% Inflation müssten die Euro-Hüter handeln. Für die EZB wird es in jedem Fall ungemütlicher.