EU-Kommission gibt deutschen Corona-Aufbauplan frei
ahe Brüssel
Nach rund achtwöchiger Prüfung hat die EU-Kommission den deutschen „Aufbau- und Resilienzplan“ freigegeben. Sollte nun auch der Rat der EU-Mitgliedstaaten in den kommenden vier Wochen noch grünes Licht geben, steht einer Auszahlung erster Tranchen nichts mehr im Wege.
Beim deutschen Plan geht es um insgesamt 40 Projekte, die über Zuschüsse im Volumen von 25,6 Mrd. Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds finanziert werden. Die Bundesregierung hatte eine Vorfinanzierung von knapp 9% dieser Mittel und damit von 2,3 Mrd. Euro beantragt. Die restlichen Gelder werden dann ausgezahlt, wenn Zwischenziele erreicht oder die Maßnahmen beendet werden. Insgesamt 129 dieser „Milestones“ oder Projektziele wurden vereinbart.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überbrachte Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) am Dienstag in Berlin persönlich die Prüfergebnisse ihrer Behörde. Sie zeigte sich zufrieden mit den deutschen Vorhaben und sprach von wesentlichen Maßnahmen, die Deutschland dabei helfen würden, gestärkt aus der Covid-19-Krise hervorzugehen. „Die dargelegten Reformen und Investitionen werden zur Digitalisierung und Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft beitragen, so dass diese für künftige Herausforderungen besser gerüstet ist“, sagte von der Leyen.
Nach Einschätzung Brüssels werden die Projekte einen nachhaltigen Effekt auf das deutsche Wirtschaftswachstum haben. In diesem Jahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) demnach rund 0,5% höher liegen als ohne den Aufbauplan, in den nächsten drei Jahren 0,6% und in den dann folgenden zwei Jahren sogar 0,7% (siehe Grafik). Und die Effekte von Strukturreformen sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Die EU-Kommission stufte mindestens 42% der vorgesehenen Ausgaben als Maßnahmen zur Unterstützung des Klimaschutzes ein. Dabei geht es grundsätzlich um die Dekarbonisierung der Industrie, mit einem Fokus auf erneuerbarem Wasserstoff, um eine nachhaltigere Mobilität und um eine bessere Energieeffizienz von Wohngebäuden. Noch stärker sind die Ausgaben aus dem Aufbauplan aber auf die Digitalisierung ausgerichtet, für die 52% der Gelder vorgesehen sind. Besonders im Blick stehen dabei die öffentliche Verwaltung, der Gesundheits- und der Bildungssektor.
Der Präsident des Branchenverbands Bitkom, Achim Berg, sprach von einer „historischen Chance“. Dass die Digitalisierung in Deutschland schnell und nachhaltig vorangetrieben werden müsse, habe die Pandemie deutlich gezeigt. „Der deutsche Aufbau- und Resilienzplan hat das Zeug dazu, zur Blaupause für künftige, auch nationale Digitalisierungsprogramme zu werden“, so Berg. Zum einen setze er nicht auf die Gießkanne, sondern auf zielgerichtete Investitionen. Zum anderen fließe das Geld ergebnisorientiert.
Zu einer solch positiven Einschätzung kommt allerdings längst nicht jeder, der sich mit dem deutschen Plan beschäftigt hat. Insbesondere reißt die Kritik aus dem EU-Parlament nicht ab – und zwar quer durch alle Fraktionen. Moniert wird dabei insbesondere die fehlende Reformbereitschaft der Bundesregierung: Moritz Körner, haushaltspolitischer Sprecher der FDP, sprach von einer vertanen Chance. „In Wahrheit ist Deutschland längst vom Reformmotor Europas zum Reformnachzügler verkommen“, kritisierte er. Neben Dänemark und Luxemburg habe Berlin die wenigsten nationalen Reformvorschläge gemacht. Selbst das viel gescholtene Italien habe mehr als dreimal so viele Reformpläne wie die Bundesregierung ausgearbeitet.
In der EU-Kommission will man dies so nicht stehen lassen. Der deutsche Plan gehe auf alle relevanten länderspezifischen Empfehlungen ein, sagten Brüsseler Beamte am Dienstag. Sie verwiesen darauf, dass unter anderem an verschiedenen Stellen Hindernisse für private Investitionen beseitigt würden.
Der Grüne Sven Giegold hält dagegen, dass insgesamt weniger als 1,5 Mrd. Euro der mehr als 25 Mrd. Euro für die länderspezifischen Empfehlungen veranschlagt wurden: „Strukturelle Reformen fehlen vollständig.“ Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber ergänzte: Die „mauen Reformvorschläge“ aus Berlin hätten auch dazu beigetragen, dass im Rest der EU wenig Reformeifer entstanden sei. Von einer „Doppelmoral“ sprach der Volt-Abgeordnete Damian Boeselager: „Reformen müssen bei anderen sein, aber bloß nicht bei sich zu Hause“, heiße es in Berlin und in Paris.