EU-Gipfel in Versailles

Europa sucht ein neues Wachstums­modell

Auf dem zweitägigen Gipfel in Versailles sondieren die EU-Spitzen weitere Sanktionen gegen Russland und wollen sich mit dem Mitgliedsantrag der Ukraine befassen. Es geht aber auch ums Geld.

Europa sucht ein neues Wachstums­modell

Von Andreas Heitker, Brüssel,

und Gesche Wüpper, Paris

Die Definition eines „neuen europäischen Wachstumsmodells“ hatte die französische EU-Ratspräsidentschaft schon Anfang des Jahres an prominenter Stelle in ihr Programm aufgenommen. Es ging darum, die milliardenschweren zusätzlichen Investitionen in die grüne Transformation und die Digitalisierung zu finanzieren, die Paris in einem Diskussionspapier für das jüngste EU-Finanzministertreffen auf 650 Mrd. Euro im Jahr taxierte. Und natürlich sollten auch die Haushalts- und Schuldenregeln in Europa entsprechend reformiert werden, damit diese Mittel fließen können.

Der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierenden Folgekosten im Energie- und Verteidigungssektor bedeuten eine weitere Belastung für die nationalen Haushalte. Auf ihrem informellen Gipfel in Versailles sondieren die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag daher mögliche Finanzierungsmöglichkeiten. EU-Ratspräsident Charles Michel hat für diese Debatte bereits die Richtung vorgegeben: „In den letzten Jahren haben wir uns angesichts zahlreicher Krisen und Herausforderungen gemeinsam für eine ehrgeizige strategische Agenda eingesetzt“, schrieb er in seinem Einladungsschreiben. „Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse müssen wir dringender denn je entschlossene Schritte unternehmen, um unsere Souveränität zu stärken, unsere Abhängigkeiten zu verringern und ein neues Wachstums- und Investitionsmodell zu gestalten.“

Vorbild Wiederaufbaufonds

Spekuliert wird in Paris und Brüssel schon seit einigen Tagen, dass die Finanzierung der außergewöhnlichen Belastungen auch über die Ausgabe von EU-Anleihen und die Einrichtung eines schuldenfinanzierten „Resilienzfonds“ erfolgen könnte. Nachdem nämlich der französische Präsident Emmanuel Macron seinen Premierminister Jean Castex gebeten hatte, einen Plan zu erarbeiten, um Frankreichs Wirtschaft resilienter gegenüber den Auswirkungen des Ukraine-Krieges und der dadurch ausgelösten Sanktionspakete zu machen, hofft Paris nun auch auf ein gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene. Und als Vorbild sollte dabei offenbar der während der Coronakrise beschlossene 750 Mrd. Euro große EU-Wiederaufbaufonds dienen – auch wenn der neue Fonds ein weit niedrigeres Volumen haben dürfte, wie es hieß.

Größter Nutznießer eines gemeinsamen Resilienzfonds dürften die osteuropäischen Staaten sein. Gleichzeitig erscheint Italien wegen seiner großen Abhängigkeit von russischem Gas und der starken Exposition seiner Banken in Russland erneut als eines der schwächsten Glieder. Paris hofft, dass sich die bisher neuen gemeinsamen Schulden skeptisch gegenüberstehenden nord- und osteuropäischen EU-Mitglieder nun konzilianter zeigen, da sie bei dem Ukraine-Krieg fast an vorderster Front stehen.

In Brüssel wurde am Mittwoch zunächst abgewunken. Ein ranghoher EU-Beamter verwies darauf, dass das Geld aus dem Corona-Wiederaufbaufonds ja gerade erst zu fließen beginne und beispielsweise die Finanzierung kritischer Energieinfrastruktur auch schon über diesen Fonds möglich sei. Die „Konfusion“ über einen weiteren Hilfstopf, so der Beamte, sei wohl dadurch entstanden, dass die Kriterien für Ausgaben aus dem Corona-Fonds angesichts des neuen Umfeldes noch einmal angepasst werden könnten. Hierüber wollen die Staats- und Regierungschefs am Freitag auch mit EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Eurogruppen-Chef Paschal Donohoe diskutieren.

Aus der EU-Kommission kamen bislang unterschiedliche Signale. „Wir müssen neue Instrumente finden, um die neuen Probleme anzugehen, die diese Krise vor uns aufwirft”, hatte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni zu Wochenbeginn im EU-Parlament erklärt. Vizepräsident Frans Timmermans hingegen sagte am Dienstag in Straßburg, in einigen Mitgliedstaaten möge es Pläne für einen neuen Fonds geben. Die EU-Kommission habe sie nicht.

Erwartet wird auf jeden Fall, dass sich die Staats- und Regierungschefs in Versailles zu einer deutlichen Erhöhung ihrer Wehretats verpflichten sowie einen Plan billigen, die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu verringern. In Paris hält man auch ein gemeinsames „Repower EU“-Sofortfinanzierungsprogramm für möglich.

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