Geldpolitik

„Eurozone flirtet seit vielen Jahren mit fiskalischer Dominanz“

Das Verhältnis von Geld- und Fiskalpolitik sorgt immer wieder für hitzige Diskussionen – nicht zuletzt im Fall der Eurozone. Umso bemerkenswerter sind nun Aussagen von EZB-Ratsmitglied Pierre Wunsch zum Thema.

„Eurozone flirtet seit vielen Jahren mit fiskalischer Dominanz“

ms Frankfurt

Das Verhältnis von Geld- und Fiskalpolitik sorgt immer wieder für teils hitzige Diskussionen – nicht zuletzt im Fall der Eurozone. Kritiker der Europäischen Zentralbank (EZB) haben der Notenbank in den vergangenen Jahren immer wieder vorgeworfen, dass sie mehr die Stabilität der Euro-Staatsfinanzen als die Stabilität der Preise im Blick habe und sich gemein mache mit den Regierungen. Umso bemerkenswerter sind Aussagen von EZB-Ratsmitglied Pierre Wunsch, die er nun bei der ECB Watchers Conference am Mittwoch in Frankfurt machte.

„Die Eurozone flirtet nun schon seit vielen Jahren mit einer (schwachen) Form der fiskalischen Dominanz“, sagte Wunsch. Als fiskalische Dominanz wird gemeinhin die Situation verstanden, in der die Zentralbank keine autonome Geldpolitik betreibt, weil sie die Auswirkungen ihrer Zinsentscheidungen auf die öffentlichen Finanzen berücksichtigt. Gemeinhin weisen Euro-Notenbanker das Vorliegen einer solchen Dominanz stets entschieden zurück. In den Krisen der vergangenen Jahre hatte die EZB in großem Stil auch Euro-Staatsanleihen gekauft (Quantitative Easing, QE), was neben den Null- und Negativzinsen zusätzlich dafür gesorgt hatte, dass sich die Staaten sehr günstig finanzieren konnten. Das lange Festhalten an dieser Politik gilt manchen Beobachtern als zumindest mitverantwortlich für die derzeit viel zu hohe Inflation.

Wunsch, der die Zentralbank in Belgien leitet, sagte vor dem Hintergrund, dass es nun Zeit sei, „zum EU-Vertrag zurückzukehren“. Die Euro-Staaten müssten nun ihre Finanzen konsolidieren und wie vorgeschrieben wieder fiskalische Puffer aufbauen, um im Fall künftiger Krisen gewappnet zu sein. Es gehe darum, „den Raum zu schaffen, den wir für unsere Arbeit brauchen“, so das EZB-Ratsmitglied.

Allerdings äußerte er sich nicht sehr zuversichtlich. „Die Erfahrungen der letzten 30 Jahre sind nicht sehr ermutigend.“ Laut verschiedensten Studien seien vor der globalen Finanzkrise nicht genügend Puffer aufgebaut worden. Zudem sagte er: „In den zehn Jahren vor Covid-19 war die Finanzpolitik recht prozyklisch.“ Auch jetzt bestehe die Gefahr, dass die Fiskalpolitik im Euroraum zu stimulierend bleibe und damit den Kampf gegen die Inflation erschwere.

Seit Monaten haben sich Stimmen aus dem EZB-Rat gemehrt, dass die Euro-Staaten mit ihrer Fiskalpolitik das Preisproblem verschärften – verbunden mit der Warnung, dass die Geldpolitik dann gegebenenfalls noch stärker gestrafft werden muss. Im Fokus steht auch Deutschland mit seinem 200-Mrd.-Euro-Abwehrschirm ge­gen die Energiekrise. Die Bundesregierung widerspricht.

Wunsch wies am Mittwoch zudem auf negative langfristige Folgen der ultralockeren Geldpolitik der vergangenen Jahre hin – auch wenn er beispielsweise die Maßnahmen der EZB in der Pandemie entschieden verteidigte. „Ob man es will oder nicht, das lang anhaltende Niedrigzinsumfeld hat zu einer Kultur des leichten Geldes beigetragen“, so Wunsch. So hätten auch viele Politiker in den vergangenen Jahren niedriger Inflation immer wieder erklärt, dass sie die Staatsfinanzen nicht konsolidieren würden, solange die Zinsen niedrig seien. Dass sie mit ihrer lockeren Geldpolitik Fehlanreize für die Fiskalpolitik setzen, weisen ebenfalls viele Notenbanker stets zurück.