GastbeitragGeldpolitik

Die EZB braucht eine große Strategierevision

Die EZB will im nächsten Jahr ihre geldpolitische Strategie auf den Prüfstand stellen. Sie sollte die Lehren aus dem zurückliegenden Inflationsschock ziehen und die damit verbundenen Chancen nicht vertun.

Die EZB braucht eine große Strategierevision

Auf den ersten Blick ist die im nächsten Jahr anstehende Revision der geldpolitischen Strategie der EZB nur etwas für Experten. Aber weit gefehlt – es geht um die wichtige Frage, wie die EZB in Zukunft einen erneuten Inflationsschock verhindern will. Ich schlage vier Änderungen an der geldpolitischen Strategie vor.

Erstens sollte die EZB die Definition von Preisstabilität revidieren. Bisher sieht sie sich am Ziel, wenn die von ihr prognostizierte Inflation mittelfristig bei 2% liegt. Aber keine Zentralbank der Welt kann die Inflation punktgenau steuern. Sie muss an diesem zu hoch gesteckten Ziel scheitern, was ihrer Glaubwürdigkeit schadet.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank
Jörg Krämer, unser Gastautor, ist Chefvolkswirt der Commerzbank. Foto: Commerzbank

Besser als ein Punktziel wäre ein Zielband – etwa von plus/minus 0,5 Prozentpunkte um die 2% herum. Dadurch gewönne die EZB nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern ihre Geldpolitik würde auch maßvoller. Weicht die prognostizierte Inflationsrate nur wenig von 2% ab, wäre sie nicht zu einem scharfen Gegensteuern gezwungen. Sie darf nicht wieder wie im September 2021 den Einsatz massiver Instrumente wie Negativzinsen und breitangelegte Anleihekäufe damit begründen, dass sie mittelfristig eine Inflationsrate von 1,9 und nicht 2,0% prognostiziert. Mit Blick auf die hohe Prognoseunsicherheit ist das abstrus.

Instrumente symmetrisch einsetzen

Zweitens sollte die EZB ihre geldpolitischen Instrumente nicht mehr asymmetrisch einsetzen. Bisher reagiert die EZB stärker auf eine unter 2% liegende Inflationsrate als auf eine darüber liegende. Diese Asymmetrie des Mitteleinsatzes begründet sie damit, dass die Wirtschaft bei einer zu niedrigen Inflation in eine schädliche Deflation mit fallenden Verbraucherpreisen abgleiten könnte, aus der die EZB sie kaum befreien könne.

Aber solche deflationären Fallen lassen sich in der Wirtschaftsgeschichte kaum beobachten. So hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) gezeigt, dass Phasen mit fallenden Verbraucherpreisen während des Goldstandards (bis Ausbruch des Ersten Weltkriegs) und seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit einem steigenden und nicht fallenden Bruttoinlandsprodukt einhergingen. Die häufig zitierte Große Depression in den USA der 1930er Jahre tauge nicht als Gegenbeispiel, weil die fallenden Preise nicht Ursache der Wirtschaftskrise waren, sondern Folge einer Geldknappheit, die durch den Zusammenbruch von rund einem Drittel der US-Banken ausgelöst worden war.

Nur noch in Notsituationen

Wenn also eine unter 2% liegende Inflation kein größeres Problem als eine darüber liegende Inflation ist, dann sollte die EZB ihre geldpolitische Strategie revidieren und ihre Mittel in Zukunft symmetrisch einsetzen. Sie sollte weitreichende Instrumente wie negative Leitzinsen oder großangelegte Anleihekäufe nur noch in Notsituationen verwenden. Umgekehrt sollte sie bei einer anziehenden Inflation nicht wie 2022 zu lange warten, nur weil die Inflation vorher eine längere Zeit unter 2% gelegen hat. Das verspätete Vorgehen der EZB ist ein Grund dafür, warum die Inflation so stark steigen konnte.

Drittens sollte die EZB die Geldmenge M3 wieder stärker beachten, die Bargeld, Sicht- und Spareinlagen und weitere geldnahe Bestandteile umfasst. Gegenwärtig spielt die Geldmenge – anders als früher bei der Bundesbank – keine Rolle mehr, um die künftigen Inflationsrisiken abzuschätzen. Dieses Ignorieren geht zu weit. Zu Beginn der Corona-Krise war das starke Wachstum der Geldmenge nämlich ein Vorbote des deutlichen Inflationsanstiegs.

Geldmenge aufwerten

Sie zeigte nämlich an, dass die EZB durch den massenhaften Kauf von Staatsanleihen die äußerst expansive Ausgabenpolitik der Finanzminister finanzierte. Die so angefachte Nachfrage traf auf ein Corona bedingt gesunkenes Angebot an Gütern, was die Inflation bereits vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs in Gang setzte. Deshalb sollte die EZB die Geldmenge bei der Revision ihrer geldpolitischen Strategie aufwerten und sie neben anderen Faktoren wie Lohnkosten oder Energiepreisen bei der Inflationsprognose wieder berücksichtigen.

Viertens sollte die EZB die sogenannte grüne Geldpolitik beenden. Sie beschädigt damit nämlich das klimapolitische Instrument, das im Zentrum stehen sollte: einen einheitlichen CO₂-Preis, der am besten durch den Handel mit Verschmutzungsrechten ermittelt wird, bei dem die EU die Menge der klimaschädlichen Emissionen von Jahr zu Jahr absenkt. Dieser CO₂-Preis sorgt für eine wirtschaftliche Klimapolitik, indem er effiziente von ineffizienten CO₂-Vermeidungsinvestitionen trennt. Ist es für ein Unternehmen günstiger, Emissionen zu vermeiden als den CO₂-Preis zu entrichten, dann ist die Klimaschutzmaßnahme wirtschaftlich und sollte umgesetzt werden. Umgekehrt unterbleibt eine unwirtschaftliche Vermeidungsinvestition.

Grüne Geldpolitik abschaffen!

Dieser effiziente Preismechanismus wird durch die grüne Geldpolitik der EZB verzerrt. Indem sie etwa bevorzugt Anleihen von klimabewussten Unternehmen kauft, verbilligt sie die Finanzierungskosten solcher Unternehmen im Vergleich zu anderen Unternehmen. Implizit schafft sie einen zusätzlichen CO₂-Preis, der den allgemeingültigen CO₂-Preis verzerrt. Dadurch erscheint ein Teil der teuren CO₂-Vermeidungsinvestitionen vorteilhaft und wird fälschlicherweise realisiert, während günstige unterbleiben. Im Endeffekt werden nicht mehr Emissionen verhindert, aber die Einsparungen erfolgen an der falschen Stelle. Die grüne Geldpolitik ist ineffizient und gehört abgeschafft.

Alles in allem gibt es für die Notenbank eine Menge zu tun bei der anstehenden Revision der geldpolitischen Strategie. EZB-Präsidentin Lagarde hat deren Bedeutung kürzlich zu Unrecht heruntergespielt. Noch ist genügend Zeit für die notwendige große Revision.

Die EZB braucht eine große Revision ihrer geldpolitischen Strategie