EZB-Geldpolitik trifft deutsche Wirtschaft überdurchschnittlich hart
Geldpolitik trifft deutsche Wirtschaft hart
Zinserhöhungen ab 2022 führten in Deutschland zu hohen Kosten – Eurozone kommt historisch betrachtet gut weg
mpi Frankfurt
Der beispiellose Zinserhöhungszyklus der Europäischen Zentralbank um 450 Basispunkte zwischen Juli 2022 und September 2023 hat die deutsche Wirtschaft stärker abgewürgt als die konjunkturelle Entwicklung in anderen Euro-Ländern. Zu diesem Ergebnis kommt ein Aufsatz der Bundesbank aus dem Monatsbericht Juli.
Bislang führte der Rückgang der Inflation um 1 Prozentpunkt nach den Berechnungen der Bundesbank im laufenden Disinflationsprozess zu einem um 0,3% niedrigeren Bruttoinlandsprodukt. Die ökonomischen Kosten der EZB-Geldpolitik dürften jedoch noch steigen, da Zinserhöhungen zeitverzögert auf die Wirtschaft wirken. Unter Berücksichtigung von Konjunkturprognosen der Industrieländerorganisation OECD könnte das BIP in Deutschland laut Bundesbank pro Prozentpunkt Disinflation um fast 1,2% sinken.
Disinflation für Industrieländer kostspieliger
Verglichen mit früheren Phasen der restriktiven Geldpolitik ist dies ein recht durchschnittlicher Wert. Die Bundesbank betrachte fast 230 Disinflationsphasen weltweit seit dem Jahr 1960. Im Schnitt kostete ein Rückgang der Inflation um 1 Prozentpunkt 1% an Wirtschaftswachstum. Für Industrieländer sind die ökonomischen Kosten jedoch noch etwas höher, sodass die Prognose für den deutschen Wert im laufenden Zyklus nicht ungewöhnlich ist.
Allerdings: In vielen anderen Euro-Ländern ist die derzeitige Disinflation deutlich weniger kostspielig für die wirtschaftliche Entwicklung. Für Spanien prognostiziert die Bundesbank nur einen Rückgang um 0,6% pro Verringerung der Inflation um 1 Prozentpunkt. Für Frankreich sind es 0,3% und für Italien nur wenig mehr als 0%. Der gesamte Euroraum kommt mit 0,9% ebenfalls günstiger davon, als es in früheren Episoden der Fall war.
Zinsen unwichtiger als früher
Die Bundesbank erklärt dies damit, dass neben der restriktiven Geldpolitik noch einige andere Dinge die Inflation ab Ende 2022 reduziert haben. So hätten sinkende Rohstoffpreise und ein Auslaufen der pandemiebedingten Lieferkettenstörungen die Teuerung abgebremst. Beide Effekte wirken sich aber nicht negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung aus – im Gegenteil.
Zudem stellt die Bundesbank fest, dass zinsintensive Investitionen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in vielen Volkswirtschaften offenbar eine geringere Rolle spielen als früher. Außerdem sei der Anteil an Finanzierungen mit einer langen Laufzeit und fixen Konditionen gestiegen. „Viele Volkswirtschaften scheinen in den letzten Jahren weniger stark auf Zinsanstiege zu reagieren“, resümiert die Bundesbank in ihrem Aufsatz. Dann komme noch dazu, dass die expansive Fiskalpolitik in einigen Ländern die Wirtschaft stimuliere.
Wohnungsbau leidet unter Zinserhöhungen
Doch warum fallen die ökonomischen Kosten der Disinflation in Deutschland im internationalen Vergleich so hoch aus? Die Bundesbank verweist dabei im Monatsbericht auf den Wohnungsbau. Dieser habe hierzulande sehr rasch und deutlich auf die höheren Zinsen reagiert. „Die Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland lagen Ende 2023 preisbereinigt etwa 10% unter ihrem Höchststand aus dem Jahr 2020“, heißt es im Bericht. Zuvor waren sie während des lang anhaltenden Aufschwungs am Wohnimmobilienmarkt stetig gestiegen. Das unterscheidet Deutschland von anderen Euro-Ländern, wo es bereits vor den Zinserhöhungen der EZB einen deutlichen Abschwung im zinssensiblen Immobiliensektor gegeben hatte.
Auch abseits davon wirkt die Geldpolitik jedoch nicht gleich auf die Volkswirtschaften der Eurozone. Einfluss auf die geldpolitische Transmission haben unter anderem die Laufzeit von Tarifverträgen, wie viele Kredite einen variablen Zinssatz haben, wie groß die Bedeutung von Bankfinanzierungen ist oder welchen Anteil zinssensible Branchen wie der Bau haben.
Die Bundesbank hatte sich im September 2023 in der Studie „Heterogene Wirkungen der Geldpolitik im Euroraum?“ mit diesem Thema auseinandergesetzt. Ihr Fazit: Bei den großen Volkswirtschaften wirken sich Zinsänderungen auf die Konjunktur in Deutschland am stärksten aus, in Spanien am geringsten. Bei den Effekten auf die Inflation ist es hingegen genau umgekehrt.
Analyse: Das Dilemma der EZB. Die EZB richtet ihre Geldpolitik nach den Wirtschaftsdaten der gesamten Eurozone aus. Dabei unterscheidet sich die Lage je nach Euro-Land mitunter deutlich. Für die Notenbank ist das ein Problem.