EZB hält an vorsichtigem Kurs fest
ms Frankfurt
Trotz zunehmender Inflationsrisiken hält die Europäische Zentralbank (EZB) an ihrem Kurs einer sehr vorsichtigen und graduellen Normalisierung ihrer Geldpolitik fest. Die Euro-Hüter bekräftigten nach ihrer Sitzung am Donnerstag zwar ihre Erwartung, dass die billionenschweren Anleihekäufe im dritten Quartal beendet werden. Ein fixes Enddatum nannten sie aber nicht. Zudem hielten sie sich in Sachen Zinserhöhung bedeckt – sowohl mit Blick auf den Zeitpunkt einer ersten Zinserhöhung wie auch auf das Tempo weiterer Zinsschritte.
Inflationsrisiken nehmen zu
Vor der Sitzung war mitunter spekuliert worden, dass die EZB klarere Signale in Sachen Ende der Käufe und mögliche Zinserhöhungen noch im Jahr 2022 geben könnte. Hintergrund war insbesondere, dass die Euro-Inflation im März ein neues Rekordhoch von 7,5% erreicht und damit erneut alle Erwartungen übertroffen hatte. Deshalb wächst der Druck auf die EZB – zumal andere Zentralbanken wie etwa die US-Notenbank Fed entschlossener vorgehen. Viele EZB-Granden sorgen sich aber um die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Euro-Wirtschaft. Einige Ökonomen warnen sogar vor einer neuerlichen Rezession.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte nun am Donnerstag, dass die Aufwärtsrisiken für die Inflationsaussichten vor allem auf kurze Sicht noch einmal zugenommen hätten. Die Euro-Inflation hatte bereits vor Kriegsausbruch auf Rekordniveau gelegen und die früheren Prognosen der EZB deutlich übertroffen. Der Krieg treibt nun aber die Energie- und Rohstoffpreise weiter, was die Inflation befeuert. Hinzu kommt, dass die neuen Lockdowns in China erneut Probleme für die globalen Lieferketten mit sich bringen – was auch die Preise treibt.
Lagarde betonte, dass die Euro-Hüter nun ganz besonders auf die Entwicklung der Inflationserwartungen schauten. Die Sorge ist, dass die anhaltend hohe Teuerung die Inflationserwartungen immer weiter steigen lässt und am Ende eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. Erst am Tag vor der Sitzung war ein auch von der EZB viel beachtetes Barometer für die langfristigen Inflationserwartungen, der sogenannte Five-Year Five-Year Forward, zeitweise auf mehr als 2,40% geklettert. Das ist nach Daten von Refinitiv, die bis 2013 zurückreichen, das höchste Niveau. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von 2,0% an.
Zugleich sorgen sich aber viele Euro-Hüter um die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Euro-Wirtschaft. Europa gilt wegen der geografischen Nähe und der hohen Abhängigkeit von russischen Gas- und Öllieferungen als besonders betroffen und anfällig. „Der Krieg belastet bereits das Unternehmer- und das Verbrauchervertrauen, unter anderem durch die damit einhergehende Unsicherheit“, hieß es am Donnerstag im geldpolitischen Statement des EZB-Rats. Im Schlussquartal 2021 war die Euro-Wirtschaft um 0,3% gewachsen. Im ersten Quartal blieb das Wachstum Schätzungen zufolge schwach – vor allem wegen der Corona-Einschränkungen.
Vor dem Hintergrund dieser Inflations- und Wachstumsaussichten verstärkte der EZB-Rat seine Signale für ein Ende des APP-Anleihekaufprogramms im dritten Quartal. Lagarde betonte die jetzt „viel stärkere Bestätigung“ dieser Pläne. Seit Mitte 2014 hat das Eurosystem im Zuge des APP Wertpapiere, vor allem Staatsanleihen, im Wert von knapp 3,2 Bill. Euro erworben. Die Nettokäufe im Zuge des 1,85-Bill-Euro- Corona-Notfallanleihekaufprogramms PEPP hatte das Eurosystem bereits im März beendet. Das Eurosystem will aber fällige Wertpapiere noch auf Jahre hinaus reinvestieren, so dass der Bestand konstant bleibt.
Ein genaueres Datum für das Ende der APP-Nettokäufe nannte der EZB-Rat aber nicht. Lagarde betonte, dass jeder Monat des dritten Quartals infrage komme. Der EZB-Rat werde bei seiner Sitzung im Juni weitere Beschlüsse fassen. Dann legen die EZB-Volkswirte auch neue Projektionen für Wachstum und Inflation vor.
Neues Instrument?
Auch mit Blick auf Zinserhöhungen ließ sich Lagarde nicht in die Karten schauen. Im März hatte der EZB-Rat seinen Zinsausblick (Forward Guidance) derart geändert, dass nach einem Ende der Nettokäufe nicht automatisch auch rasch die Zinsen steigen müssen. Das soll jetzt „einige Zeit“ danach passieren. Lagarde wiederholte am Donnerstag ihre Aussage, dass das „eine Woche oder mehrere Monate“ bedeuten könne. Viele Beobachter erwarten eine erste Zinserhöhung nun bei der Sitzung im September. Der EZB-Einlagenzins liegt aktuell bei −0,5%, der EZB-Schlüsselsatz bei 0,0%.
Recht bedeckt hielt sich Lagarde auch zu Spekulationen, dass die EZB ein neues Instrument auflegen könnte, um nach dem Ende der Anleihekäufe im Notfall als übertrieben angesehenen Zinsdifferenzen zwischen den Euro-Staaten zu begegnen. Sie betonte aber, dass der EZB-Rat sicherstellen wolle, dass die geldpolitischen Impulse in allen Euro-Staaten gleichermaßen ankämen. Der EZB-Rat betonte zudem, beim Einsatz aller Instrumente „erforderlichenfalls flexibel zu sein“. Diese Formulierung hob auch Lagarde hervor. Das werteten Beobachter als Signal, dass die EZB zu einem solchen Instrument willens ist. Es ist aber politisch heikel und dürfte im EZB-Rat durchaus zu Kontroversen führen.