Geldpolitik

EZB mit doppelter Zinssenkung

Die EZB senkt den für die Geldpolitik entscheidenden Einlagensatz um 25 Basispunkte. Die beiden anderen Leitzinsen fallen dagegen deutlicher. Abwärts geht es auch bei der Vorhersage der Notenbank zum Wirtschaftswachstum – nicht aber bei der Prognose zur Inflation.

EZB mit doppelter Zinssenkung

Die EZB lockert ihre Geldpolitik und senkt den Einlagensatz um 25 Basispunkte auf 3,5%. Das teilte die Notenbank am Donnerstagnachmittag in Frankfurt mit. Doch dabei bleibt es nicht. Da gleichzeitig auch der Abstand zwischen dem für die Geldpolitik entscheidenden Einlagensatz und dem Hauptrefinanzierungssatz (MRO) ab kommenden Mittwoch von 50 auf 15 Basispunkte sinken wird, fällt der MRO um 60 Basispunkte. Dasselbe gilt für den Spitzenrefinanzierungssatz, da der Abstand zwischen ihm und dem MRO gleich bleiben soll.

Die Reduzierung des Abstands hatte die EZB bereits im März angekündigt. Eine extreme Lockerung der Geldpolitik bedeutet diese Anpassung jedoch nicht. Denn wie restriktiv die Geldpolitik wirkt, bestimmt seit Jahren nicht mehr der Hauptrefinanzierungssatz. Auch wenn es der Name vielleicht suggeriert. Dadurch, dass die Überschussliquidität im Euroraum durch die umfangreichen Anleihekaufprogramme der EZB ab 2014 deutlich gestiegen ist, hat der MRO seitdem an Bedeutung verloren. Stattdessen orientieren sich die kurzfristigen Geldmarktsätze inzwischen am Einlagensatz, wie die untenstehende Grafik zeigt. (Da die Änderungen bei den Leitzinsen erst kommende Woche im Finanzmarkt wirksam werden, sind diese hier noch nicht berücksichtigt).

Auch nach der Anpassung wird der Einlagensatz der für die Geldpolitik entscheidende sein. Die Änderung hat stattdessen das Ziel, dass auch künftig genügend Liquidität im Euroraum vorhanden ist, während gleichzeitig die Überschussliquidität langsam sinkt. Der geringere Abstand zwischen Einlagensatz und Hauptrefinanzierungssatz biete „Spielraum für Geldmarktaktivitäten und bietet den Banken Anreize für marktbasierte Refinanzierungslösungen“, teilt die EZB mit.

EZB erwartet weniger Wirtschaftswachstum

Mit Spannung haben Finanzmarktteilnehmer zudem auf die neuen Prognosen der EZB zu Inflation und Wirtschaftswachstum im Euroraum gewartet. Im Vergleich zu ihrer letzten Projektion im Juni ist die Notenbank nun etwas pessimistischer bei der Konjunktur. Sie erwartet für das laufende Jahr ein Wirtschaftswachstum von 0,8% (bislang 0,9%) und für 2025 von 1,3% (zuvor 1,4%).

Bei der Inflation geht die EZB wie bisher von 2,5% in diesem Jahr aus. Auch die Prognosen für 2025 und 2026 bleiben bei 2,2 bzw. 1,9%. Die Projektionen für die Kerninflation wurden für die Jahre 2024 und 2025 geringfügig nach oben korrigiert, da die Teuerung bei den Dienstleistungen höher ausfiel als erwartet. Die Kernrate gilt als guter Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck. Für dieses und für kommendes Jahr hat die EZB die Prognose jeweils um 0,1 Prozentpunkte auf 2,9 bzw. 2,3% angehoben.

Uneinigkeit bei der EZB

Die schwache Konjunktur im Euroraum, die insbesondere von Deutschland verursacht wird, gilt einigen EZB-Ratsmitgliedern als Argument für ein höheres Tempo bei weiteren Zinssenkungen. Angesichts der durch die Wirtschaftslage relativ schwachen Nachfrage von Unternehmen und Privatpersonen sei der Preisdruck eher gering. Zudem verweist dieses Lager im EZB-Rat auf die deutlichen Fortschritte bei der Disinflation und das zuletzt nachlassende Lohnwachstum im Euroraum.

Das andere Lager verweist hingegen darauf, dass das Lohnwachstum trotz des Rückgangs der Tariflöhne im zweiten Quartal weiterhin hoch ist. In der Folge ist auch die Inflation bei Dienstleistungen hoch, da diese sehr arbeitsintensiv sind. Die Dienstleistungsinflation ist nach einer Erstschätzung von Eurostat im August mit 4,2% auf den höchsten Stand seit fast einem Jahr gestiegen. Hier braucht die EZB in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang, damit sie ihr Inflationsziel von 2% für die Gesamtrate im kommenden Jahr nachhaltig erreichen kann. Daher mahnen einige EZB-Ratsmitglieder bei der weiteren Lockerung der Geldpolitik zur Vorsicht.

Rätselraten um den neutralen Zins

An den Finanzmärkten wird inzwischen darüber spekuliert, ob die EZB nicht nur im Dezember, sondern auch schon im Oktober weitere Zinssenkungen beschließen könnte. Die Mehrheit erwartet jedoch lediglich eine Lockerung zum Jahresende, wenn die Notenbank ihre Projektionen für Inflation und Wirtschaftswachstum ein weiteres Mal aktualisiert.

Für die weitere Geldpolitik dürfte entscheidend sein, wo die EZB den neutralen Zins verortet. Damit ist der Einlagensatz gemeint, der die Wirtschaft weder bremst noch ankurbelt. Der neutrale Zins lässt sich nicht exakt berechnen, sondern nur schätzen. Viele Ökonomen verorten ihn bei 2,5%. Es gibt jedoch auch Volkswirte, die ihn bereits bei einem Wert knapp unter 3% erreicht sehen. Sobald der Einlagensatz sich dem Territorium nähert, das einige EZB-Ratsmitglieder als möglicherweise nicht mehr restriktiv sehen, dürften die Diskussionen unter den Notenbankern über weitere Lockerungen an Fahrt gewinnen. Ein zu frühes Verlassen der restriktiven Geldpolitik könnte sich stark negativ auf die Inflation und in der Folge auch auf die Wirtschaft auswirken.

Die offenen Fragen sind jedoch: Wann ist es zu früh und ab welchen Einlagensatz ist die Geldpolitik der EZB nicht mehr restriktiv? Auf diese Fragen müssen die Währungshüter in den kommenden Wochen und Monaten Antworten finden.