Geldpolitik

EZB-Prognosen sprechen gegen baldige zweite Zinssenkung

Die Notenbank erwartet mehr Inflation 2024 und 2025 und hebt die Projektion für das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr an. Ökonomen sehen in den Anpassungen mehrheitlich ein Signal gegen eine baldige zweite Zinssenkung.

EZB-Prognosen sprechen gegen baldige zweite Zinssenkung

EZB-Prognosen sprechen gegen baldige zweite Zinssenkung

Notenbank erwartet mehr Inflation 2024 und 2025 – Rezessionsgefahr scheint gebannt

mpi Frankfurt

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag kräftiger als erwartet an ihren Projektionen für das Wirtschaftswachstum und die Inflation in der Eurozone geschraubt. Bei der Teuerung erwarten die Volkswirte der Notenbank nun 2,5% statt 2,3% im laufenden Jahr und 2,2 statt 2,0% im nächsten. Auch bei der Kerninflation als Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck ist die EZB pessimistischer geworden.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde sieht in den Vorhersagen dennoch nicht nur eine Bestätigung der Annahme, dass der Dinsinflationsprozess in diesem Jahr holprig verlaufen werde, sondern auch eine Bekräftigung, dass die Notenbank auf einem guten Weg ist, ihr Inflationsziel von 2% wie anvisiert bis spätestens 2025 zu erreichen. Explizit wies sie darauf hin, dass der Ausblick für das vierte Quartal 2025 stabil ist und durchgängig zwischen 1,9 und 2,0% schwanke.

Kritik an der Kommunikation

Beobachter zeigten sich zum Teil von der Kommunikation Lagardes wenig überzeugt. „Ihre vehemente Festlegung auf die Datenabhängigkeit zukünftiger Entscheidungen und das Fehlen jeglicher Pfadindikation bei der Juni-Pressekonferenz kontrastieren stark die Aussagen as dem April, als Lagarde selbstsicher Hinweise auf die nun beschlossene Zinssenkung gab“, sagt Gebhard Stadler, Ökonom bei der BayernLB. „Das deutet darauf hin, dass es derzeit wenig Einigkeit über das weitere Vorgehen gibt.“

Volkswirte deuten die angepassten Projektionen mehrheitlich als Indiz, dass es im Juli keinen Spielraum für eine weitere Zinssenkung geben dürfte. Zumal die Notenbank nicht nur von mehr Inflation in der näheren Zukunft ausgeht, sondern auch von einem höheren Wirtschaftswachstum. Die Prognose kletterte von 0,6 auf 0,9%. Eine besser laufende Wirtschaft erhöht zum einen tendenziell den Preisdruck. Zum anderen hatten in der Vergangenheit einige Ratsmitglieder argumentiert, die EZB müsse die Zinsen deutlich senken, um eine Rezession zu vermeiden.

„Auch wenn dies nicht das vorrangige Ziel der EZB ist, stellten zuletzt immer mehr Ratsmitglieder dem Nutzen einer straffen Geldpolitik (Begrenzung der Inflation) die aus ihrer Sicht damit verbundenen Kosten (schwaches Wachstum) gegenüber“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Dieses Argument verliere nun an Kraft.

Geopolitische Spannungen bedrohen Wirtschaftswachstum

Die EZB erwartet zwar jetzt eine besser laufende Wirtschaft in diesem Jahr. Mittelfristig ist die Notenbank jedoch nicht so optimistisch. Die Vorhersage für 2025 senkte sie um einen Prozentpunkt nach unten. Zudem betonte Lagarde, dass es wahrscheinlicher sei, dass die mittelfristigen Prognosen für das Wirtschaftswachstum nach unten korrigiert werden müssten als nach oben. Als Begründung nannte sie die geopolitischen Spannungen, die den Welthandel belasten. Die Risiken einer Revision der Projektion nach unten oder nach oben seien für dieses Jahr hingegen in der Balance.

Zuletzt hatten einige EZB-Ratsmitglieder die Bedeutung der Projektionen für die Steuerung der Geldpolitik betont. So bezeichnete etwa der französische Notenbankpräsident François Villeroy de Galhau diese als mindestens genauso wichtig wie aktuelle Daten. Daher bezeichnete er im Interview der Börsen-Zeitung die Vorhersagen der Notenbank auch als einen der drei „Kompasse“, an denen die EZB seiner Meinung nach die weitere Geldpolitik ausrichten könne. Villeroy de Galhau sowie weitere Ratsmitglieder sagten zudem, dass die Unsicherheit bezüglich der Prognosen gesunken sei.

„Prognoseunsicherheit ist groß“

Ein Blick auf die Inflationsvorhersagen diverser Ökonomen und Bankanalysten weckt allerdings durchaus Zweifel an dieser Einschätzung. Die Meinungen gehen weit auseinander. Einige erwarten anders als die EZB keinen deutlichen Rückgang beim Lohnwachstum bis einschließlich 2025 und gehen daher davon aus, dass sich die Inflation über dem Zielwert der EZB festsetzt.

Andere halten hingegen die Geldpolitik angesichts des relativ schwachen Wirtschaftswachstums und einer prognostizierten Entspannung bei der Lohnentwicklung für deutlich zu restriktiv. Sie befürchten, dass die Inflation im kommenden Jahr unter dem Zielwert der Notenbank liegen wird. „Die Prognoseunsicherheit ist groß, daher sollte der Autopilot der Zinssenkungen auf jeden Fall ausgeschaltet bleiben, um eine Formulierung von Bundesbankpräsident Nagel zu verwenden“, sagt Michael Heise, Chefökonom bei HQ Trust.


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