Inflationsziel und Anleihekäufe dürften EZB bei Strategieüberprüfung beschäftigen
EZB dürfte Inflationsziel und Anleihekäufe in den Blick nehmen
Strategieüberprüfung bis 2025 – Kritik an Wertpapierkäufen macht sich innerhalb und außerhalb der Notenbank breit
mpi Frankfurt
Martin Pirkl, Frankfurt
Noch in diesem Sommer wird die EZB damit beginnen, ihre geldpolitische Strategie einer grundsätzlichen Prüfung zu unterziehen. Die Ergebnisse dürfte die Notenbank in der zweiten Jahreshälfte 2025 präsentieren. Um welche geldpolitischen Instrumente sich die Diskussionen innerhalb des EZB-Rates schwerpunktmäßig drehen werden, ist nicht offiziell bekannt. Mögliche Themenfelder gibt es jedenfalls viele: Anleihekäufe, eine Anpassung des Inflationsziels, die Kommunikation der Notenbanker oder neue Szenario-Analysen der Inflation sind nur einige Beispiele. Äußerungen aus dem EZB-Rat geben erste Anhaltspunkte, in welche Richtung die Debatte gehen könnte.
Innerhalb wie außerhalb der EZB umstritten sind jedenfalls die massiven Anleihekäufe der Notenbank ab 2014, um die damals niedrige Inflation zu erhöhen. Trotz billionenschwerer Käufe von Vermögenswerten – in der Fachsprache Quantitative Easing (QE) genannt – blieb die Teuerung unter dem Zielwert von 2%. Dafür wuchs die Bilanzsumme der EZB kräftig. 2014 lag sie noch bei 185,3 Mrd. Euro. Auf ihrem Höhepunkt 2022 betrug die Bilanzsumme dann fast 700 Mrd. Euro. Seitdem sinkt sie wieder etwas. Diese Politik der Überschussliquidität habe ihr Ziel verfehlt und der Notenbank über Jahre die Hände gebunden, beklagen mehrere namentlich nicht genannte EZB-Ratsmitglieder laut Informationen von Reuters.
Hohe Kosten des Quantitative Easings
EZB-Direktorin Isabel Schnabel mahnte Ende Mai öffentlich, den Einsatz von Anleihekäufen künftig nur in bestimmten Situationen einzusetzen. „QE kann mit Kosten verbunden sein, die größer sein könnten als die anderer Geldpolitikinstrumente“, sagte sie. Während Krisen könne QE ein wichtiges und wirkungsvolles Instrument sein. „Außerhalb dieser Zeiträume müssen die Zentralbanken jedoch sorgfältig abwägen, ob die Vorteile von Wertpapierkäufen die Kosten überwiegen.“
Ein Punkt, den Volker Wieland, Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie und Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) an der Goethe-Universität Frankfurt, unterstützt. „Quantitative Easing ist bei einer Deflationsgefahr und einem niedrigen Leitzins sinnvoll“, sagt Wieland im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Es ist kein Dauerinstrument, sondern ein Kriseninstrument.“ Daher gehöre der Einsatz dieses Instrument bei der anstehenden Strategieüberprüfung auf die Agenda.
Mehr Toleranz für höhere Inflation?
In der Öffentlichkeit wird zudem viel über eine mögliche Anpassung des Inflationsziels der EZB debattiert. So plädierte unter anderem Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 2023 für ein höheres Inflationsziel. Strukturelle Faktoren wie der demografische Wandel würden in den kommenden Jahren zu einer höheren Inflation führen. Eine Anpassung des Inflationsziels ist für Fratzscher daher angemessen. Auch 3% Inflation seien wirtschaftlich nicht schädlich, solange die EZB klar kommuniziere, dass dies der neue Zielwert sei und auch bleibe.
Auch Vítor Constâncio, Ex-EZB-Vizepräsident, sprach sich im September im Gespräch mit der Börsen-Zeitung für ein höheres Inflationsziel aus. Unter anderem, weil ein Inflationsziel von 2% bei einer strukturell höheren Inflation das Wirtschaftswachstum durch eine restriktive Geldpolitik unnötig stark abbremse.
Viele Ökonomen stehen einem höheren Inflationsziel der EZB jedoch sehr skeptisch gegenüber. „Preiszielerhöhungen könnten von Wirtschaftsakteuren als beliebig angesehen werden, was negative Folgen für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik haben dürfte – getreu dem Motto: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“, schreibt Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.
Höheres Inflationsziel unwahrscheinlich
„Es gibt gute Argumente, weswegen die EZB Preisstabilität nicht bei einer Inflationsrate von 0%, sondern bei 2%, definiert, aber höher sollte der Zielwert nicht sein“, meint auch Wieland. Marco Wagner, Ökonom bei der Commerzbank, hält ein höheres Inflationsziel ebenfalls für den falschen Weg. Er befürwortet allerdings ein Toleranzband. So könnte die EZB zwar 2% weiter als optimal betrachten, offiziell aber auch beispielsweise 0,25 Prozentpunkte weniger oder mehr akzeptieren. Wagner begründet dies damit, dass es für die Notenbank fast unmöglich ist, 2% genau zu treffen. In den vergangenen 25 Jahren sei dies in nur 17 von 306 Fällen gelungen.
Die Notenbankpräsidenten aus Frankreich und Belgien zeigten sich zuletzt offen für ein Toleranzband. Eine Anpassung des Inflationsziels in diese Richtung scheint durchaus möglich zu sein, während sich die EZB-Ratsmitglieder für ein Inflationsziel von 3% mutmaßlich nicht erwärmen dürften. Wieland lehnt auch ein Toleranzband ab. „Ich halte ein Toleranzband beim Inflationsziel für den falschen Ansatz, weil damit eine höhere Inflation als 2% toleriert wird, was zu noch höheren Inflationserwartungen der Verbraucher führt.“
Eine Erweiterung des Mandats der EZB um beispielsweise ein Wirtschaftswachstums- oder Klimaziel wird nicht auf der Agenda der Strategieüberprüfung der Notenbank stehen. Eine solche Anpassung, wie sie etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ins Spiel gebracht hatte, müsste durch den europäischen Gesetzgeber erfolgen. Dass dies geschieht, ist sehr unrealistisch – nicht zuletzt, weil Macrons politischer Spielraum in der jüngeren Vergangenheit alles andere als gestiegen ist.
Mehr Prognosen der EZB?
Ein Thema der Strategieüberprüfung könnte sein, ob die EZB-Ratsmitglieder künftig jeweils Zinsprognosen veröffentlichen sollen. EZB-Direktorin Schnabel hatte dies in einer Rede ins Spiel gebracht. Wieland würde dies begrüßen und um individuelle Inflationsprognosen ergänzen. „Ich halte es für sinnvoll, wenn die einzelnen Ratsmitglieder Inflations- und Zinsprognosen veröffentlichen würden. Die Transparenz hilft den Finanzmarktteilnehmern, die Situation besser einzuschätzen.“
Mehr Transparenz wünscht er sich, wie viele andere Ökonomen auch, zudem bei der Reaktionsfunktion der EZB. Also, dass die EZB stärker kommuniziert, an welchen Daten sie ihre Geldpolitik ausrichtet und wie diese für eine Änderung der Leitzinsen ausfallen müssten. Forward Guidance lehnt er hingegen ab. „Das ist ein problematisches Instrument“, sagt Wieland. Bei dieser Aussage dürften einige EZB-Ratsmitglieder zustimmen. So beklagten einige die frühe öffentliche quasi-Festlegung auf eine Zinssenkung im Juni. Dadurch habe man nicht datenbasiert entscheiden können, ohne Turbulenzen an den Finanzmärkten auszulösen.
Wichtig wird für die EZB auch sein, wie sie sich künftig angesichts zunehmender geopolitischer Krisen, Klimawandel, Alterung der Gesellschaft, Fachkräftemangel und hoher Staatsverschuldung in Europa aufstellt. „Das ist ein Umfeld, das Risiken für die Finanzstabilität birgt“, meint Wieland.