Fachkräftemangel ist „lösbares Problem“
Die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles, sieht den Fachkräftemangel in Deutschland zwar als drängendes Problem – aber lösbar. Das erklärte die ehemalige SPD-Vorsitzende auf einer Diskussionsveranstaltung des Münchner Ifo-Instituts zum Thema: „Welche Auswirkungen haben die Neuausrichtungen am Arbeitsmarkt für die deutsche Wirtschaft?“. Ihrer Meinung nach gebe es insgesamt fünf Stellschrauben, die zu einer raschen Lösung beitragen könnten.
Der Fachkräftemangel in Deutschland befindet sich derzeit auf einem Allzeithoch. Nie klagten mehr Unternehmen über Schwierigkeiten, vakante Stellen zu besetzen. Die Coronavirus-Pandemie hat ihren Teil dazu beigetragen: Insbesondere am Ausbildungsmarkt zeigen sich ihre Spuren. So hat die Pandemie den seit Jahren anhaltenden Trend verstärkt, dass immer mehr offenen Ausbildungsplätzen immer weniger Interessenten gegenüberstehen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg geht aufgrund der demografischen Entwicklung zudem davon aus, dass bis 2030 rund 6 Millionen Erwerbstätige hierzulande fehlen werden.
„Die Frage des Fachkräftemangels ist eine gestaltbare“, sagte Nahles am Montagabend in München. „Es ist ein lösbares Problem, wir müssen es nur auch konsequent angehen.“ Die BA-Chefin zählte dabei vier Berufsgruppen auf, die es stärker zu integrieren gelte: Frauen, junge Menschen, ältere Arbeitnehmer und Zuwanderer. Zudem brauche es in vielen Bereichen eine stärkere Automatisierung.
Das größte Potenzial erkennt die BA-Chefin in den erwerbstätigen Frauen in Deutschland. Während Deutschland in den 90er Jahren noch die rote Laterne in Europa in Sachen Frauenerwerbsbeteiligung getragen habe, sei das Land inzwischen auf Platz 5 vorgerückt. Allerdings arbeiten mehr as die Hälfte der in Deutschland erwerbstätigen Frauen nur in Teilzeit. „Wir sind nur auf Platz 15 der geleisteten bezahlten Stunden in Europa“, erklärte Nahles. Das müsse sich ändern, zumal einer IAB-Umfrage zufolge mindestens 11% der Frauen im Durchschnitt gerne zwölf Stunden mehr pro Woche arbeiten möchten.
Auch jüngere Leute müssten stärker an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Über Praktika während der Schulzeit ließe sich hier viel erreichen, meinte die BA-Chefin. „Wir müssen 2023 zum Jahr des Praktikums machen“, so Nahles. Während der Pandemie sei hier viel verloren gegangen. Bei der Integration von jungen Menschen und Frauen appellierte die BA-Chefin zudem an die Unternehmen: Diese müssten auch einmal Abstriche machen. So könne eine alleinerziehende Mutter vielleicht nicht um 6 Uhr morgens in der Pflege anfangen, wohl aber um 9 Uhr. Zudem unterstütze die BA Unternehmen, die Jugendliche mit erhöhtem Lernbedarf einstellten – etwa durch Ausbildungsbegleiter. „Es gibt da viele Hilfsangebote, wir sind da“, erinnerte Nahles.
Nahles erhofft sich zudem Entlastung durch Zuwanderer. Man dürfe allerdings nicht vergessen: „Es kommen nicht nur Fachkräfte, es kommen Menschen“, so Nahles. Auch die Automatisierung dürfte den Fachkräftemangel lindern: Es gehe längst nicht mehr darum, dass Roboter oder Automatismen Menschen ihren Arbeitsplatz wegnähmen. Stattdessen lasse sich viel Arbeit automatisieren, für die Unternehmen – und auch die BA – ohnehin keine Mitarbeiter mehr fänden.