Sturz der französischen Regierung

Frankreich bewegt sich auf unbekanntem Terrain

Premierminister Barnier hat nach Misstrauensvotum Rücktritt eingereicht, soll aber zunächst weiter die laufenden Geschäfte führen. Oppositionspolitiker wollen nun auch Macron zum Rücktritt drängen.

Frankreich bewegt sich auf unbekanntem Terrain

Frankreich auf unbekanntem Terrain

Frankreich berät, wie es nach dem Sturz der Regierung weitergehen soll. Ministerpräsident Michel Barnier hat bei Präsident Emmanuel Macron Donnerstagvormittag sein Rücktrittsgesuch eingereicht. Anschließend traf sich Macron, der sich abends in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung wenden wollte, mit François Bayrou, dem Vorsitzenden der Zentrumspartei Modem. Er wird in Paris als einer der potentiellen Nachfolger Barniers gehandelt.

Premier Barnier reicht nach Misstrauensvotum Rücktritt ein, soll aber zunächst weiter die laufenden Geschäfte führen

Frankreich steht nach dem Sturz der Regierung zum zweiten Mal in diesem Jahr ohne Regierung da. Einige Oppositionspolitiker wie Marine Le Pen hoffen, nun auch Präsident Macron zum Rücktritt zwingen zu können. Ratingagenturen warnen, dass eine Haushaltskonsolidierung jetzt immer unsicherer wird.

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von Gesche Wüpper, Paris

Der frühere EU-Brexit-Unterhändler stolperte nach nur drei Monaten im Amt über einen Misstrauensantrag, den das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) im Streit um Haushaltspläne eingereicht hatte. Der Antrag der NFP, der neben der linksextremen Partei La France Insoumise (LFI) auch Sozialisten, Grüne und Kommunisten angehören, wurde Mittwochabend mit 331 Stimmen angenommen, darunter auch denen der 126 Abgeordneten des rechtsextremen Rassemblement National (RN) und ihrer 16 Verbündeten, abtrünnigen Republikanern. Für die Annahme des Antrages waren 188 Stimmen notwendig.

Macron hat nun Barnier gebeten, zunächst so lange weiter die laufenden Geschäfte zu führen, bis er einen Nachfolger berufen und mit der Regierungsbildung beauftragt hat. Eine zeitliche Vorgabe gibt es dafür nicht. Eigentlich hätte das Parlament bis Ende des Jahres über den Haushaltsentwurf 2025 abstimmen müssen, mit dessen Hilfe Barniers Team das Defizit von 6,2% in diesem Jahr auf 5% in 2025 senken wollte. Stattdessen könnten mit Hilfe eines Spezialgesetzes die Haushaltsvorgaben von 2024 im kommenden Jahr fortgeführt werden.

Vorzeitige Parlamentswahlen nicht vor Juli möglich

Vorzeitige Parlamentswahlen kann Macron aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht vor Juli nächsten Jahres ansetzen, da er die Assemblée Nationale bereits im Juni aufgelöst hat. Es ist das erste Mal, dass in Frankreich eine Regierung über einen Misstrauensantrag stolpert, seit im Oktober 1962 eine Mehrheit der Abgeordneten gegen Premierminister Georges Pompidou gestimmt hat. Präsident Charles de Gaulle hatte daraufhin vorzeitige Parlamentswahlen angesetzt, aus denen seine Partei erfolgreich hervorging, so dass Pompidou doch Premierminister blieb.

Der Sturz der Regierung wirke sich negativ auf die Kreditwürdigkeit des Landes aus und erhöhe das Risiko einer größeren Schuldenlast, warnt Moody‘s. Gleichzeitig fahre das Land tiefer in die politische Sackgasse, während eine Konsolidierung des Haushaltes unwahrscheinlicher werde. Die Ratingagentur hatte den Ausblick ihres AA2-Ratings für französische Staatsschulden im Oktober auf negativ gesenkt. S&P urteilt ähnlich. Der Misstrauensantrag spiegele die politische Zerrissenheit Frankreichs wider und erschwere die haushaltspolitischen Herausforderungen.

Chancen für Haushaltskonsolidierung schwinden

Seit den Neuwahlen ist die Assemblée Nationale in drei ungefähr gleich große Blöcke gespalten, da keine Partei auf die absolute Mehrheit gekommen ist. Deshalb dürfte es auch für die künftige Regierung schwierig werden, einen Haushalt mit Einsparungen zur Bekämpfung des hohen Defizits durchzusetzen. Da Macron die Nationalversammlung nicht sofort erneut auflösen kann, schlug der unabhängige Abgeordnete Stéphane Vojetta jetzt vor, alle Abgeordneten sollten zurücktreten, damit sich die Assemblée selber auflösen könne.

Le Pen fürchtet Verurteilung wegen der Veruntreuung von EU-Geldern

Oppositionsvertreter von den extremen Rändern versuchen bereits seit einiger Zeit, Macron unter Druck zu setzen und zum Rücktritt zu zwingen, damit die 2027 anstehenden Präsidentschaftswahlen vorgezogen werden. Dazu gehört auch Marine Le Pen vom RN. Denn ihr droht Ende März ein Urteil des Strafgerichts Paris. Die Justiz wirft ihr vor, EU-Gelder veruntreut zu haben. Die Staatsanwaltschaft fordert deshalb neben Geldbußen und einer Haftstrafe, dass sie fünf Jahre lang nicht bei Wahlen antreten darf. „All diejenigen, die den Rücktritt des Staatschefs fordern, machen sich eines schleichenden Staatsstreichs schuldig“, kritisiert Xaver Bertrand von den Republikanern.

Der CAC 40 zeigte sich am Donnerstag unbeeindruckt von dem Sturz der Regierung. „Wir sind sehr weit von einer Finanzkrise entfernt“, erklärte Investmentstratege Christopher Dembik von Pictet AM. Das Risiko, dass die Regierung stürze, sei bei den Finanzwerten bereits eingespeist. Es sei wahrscheinlich, dass der CAC 40 in den ersten Monaten des kommenden Jahres schwach abschneide und der Spread zwischen französischen und deutschen Staatsanleihen groß bleibe. DZ Bank-Analystin Sophia Oertmann rechnet sogar damit, dass die Spreads bis in einen niedrigen dreistelligen Bereich anziehen könnten, nachdem sie Montag zwischenzeitlich auf 90 Basispunkte gestiegen waren. 

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