Fünf Weise irritieren mit Steuererhöhungsidee
wf/ba Berlin/Frankfurt
Einkommensstarke Haushalte sollen nach dem Rat der fünf Wirtschaftsweisen in der Energiekrise stärker belastet werden, um die Zielgenauigkeit der staatlichen Hilfen zu erhöhen. Dies schlägt der Sachverständigenrat für Wirtschaft in seinem neuen Jahresgutachten vor. Der für 2023 und 2024 in zwei Schritten geplante Abbau der kalten Progression in der Einkommensteuer solle verschoben werden. Einkommensstarke Haushalte könnten auch – streng befristet – über einen Energie-Solidaritätszuschlag oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes an der Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen beteiligt werden, empfehlen die Sachverständigen. Dies würde die Zielgenauigkeit des Gesamtpakets aus Entlastungen und Belastungen erhöhen, erläuterte Ratsmitglied Achim Truger vor der Presse. Die Wirtschaftsweisen argumentieren, dass Entlastungen mangels Daten und technischer Möglichkeiten nicht genau die einkommensschwachen Haushalte erreichen. Die empfohlenen Belastungen würden Entlastungen wie den Tankrabatt in einkommensstarken Haushalten kompensieren, die diese staatlichen Entlastungen nicht so dringend benötigten.
„Jede Milliarde zählt“, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats, Monika Schnitzer. Die Wirtschaftsweisen sehen in der Erhöhung der staatlichen Einnahmen auch einen Schritt, die „Energiekrise solidarisch zu bewältigen“. Die Schulden sollten nicht allein künftigen Generationen überlassen werden. Quantifiziert hat der Sachverständigenrat seine Vorschläge indessen nicht.
„Schlag ins Kontor“
Aus der Wirtschaft kam umgehend Protest. „Mit Steuererhöhungen würde unser Land für Investitionen noch unattraktiver“, warnte Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. „Ein Schlag ins Kontor“ wäre die vorgeschlagene Gegenfinanzierung für Unternehmen, konstatierte der Hauptgeschäftsführer der Kammerorganisation DIHK, Martin Wansleben. Viele Unternehmen berichteten von massiv zurückgefahrenen Investitionsplänen. Dem Export drohe im kommenden Jahr erneut ein Rückgang. Die Arbeitgebervereinigung BDA rief die Politik angesichts der multiplen Herausforderungen für Unternehmen auf, alles zu tun, um Arbeitsplätze am Wirtschaftsstandort Deutschland und Wertschöpfung zu sichern. „Steuererhöhungen gehören ganz sicher nicht dazu“, sagte BDA-Präsident Rainer Dulger. Sympathie für die Vorschläge der Wirtschaftsweisen gab es indessen beim DGB: Die einstimmige Empfehlung, Steuern für Reiche zu erhöhen, um die Krisenlasten gerecht zu verteilen, „ist genau richtig“, stellte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell fest.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wies die Empfehlung der Sachverständigen entschieden zurück. Durch das Gutachten gebe es große Verunsicherung, die Steuern könnten erhöht werden. Dies sei nicht beabsichtigt, betont Lindner – im Gegenteil. „Die Bundesregierung hält daran fest, dass wir in dieser Situation eher entlasten müssen“, sagte der FDP-Politiker vor der Presse in Berlin. Benötigt würden Investitionen in die Transformation. Die Existenz von vielen Betrieben im Mittelstand müsse gesichert werden. „Wir brauchen auch Impulse für weiteres Wachstum in unserem Land“, sagte Lindner. Die Nachfrage dürfe nicht einbrechen. Ökonomen des Finanzministeriums werteten die Idee der Wirtschaftsweisen als wenig zielgenau und kontraproduktiv. Das konjunkturelle Risiko einer Rezession werde verschärft. Die inflationstreibende Wirkung würde durch Steuererhöhungen konterkariert, weil weniger private Investitionen das Angebot verringerten.
Der Finanzausschuss des Bundestages beschloss unterdessen am Mittwoch das Inflationsausgleichsgesetz zum Abbau der kalten Progression in einer aktualisierten Fassung. Damit werden Lindner zufolge zusätzliche Belastungen von 16 Mrd. Euro im nächsten Jahr und von deutlich mehr als 30 Mrd. Euro im übernächsten Jahr verhindert. Im ursprünglichen Entwurf waren sogar geringere Volumina vorgesehen, da die Inflationsschätzung im Frühjahr vor allem für das Jahr 2024 niedriger lag.
Mehr Transparenz im Etat
Mehr Transparenz mahnen die Wirtschaftsweisen in der Verschuldungspolitik des Bundes an. Ein Aussetzen der Schuldenbremse hielten sie entgegen den Plänen des Bundes wegen der Energiekrise auch 2023 erneut für gerechtfertigt. Kritisch bewerten sie die Verlagerung schuldenfinanzierter Ausgaben in den Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Dies reduziere die Transparenz des Bundeshaushalts. Die in der Coronakrise deutlich gestiegene Schuldenstandsquote gefährde nicht die mittelfristige Tragfähigkeit des deutschen Staatshaushalts. Perspektivisch müssten die Staatsfinanzen hierzulande aber konsolidiert werden.