Geflüchtete haben gute Jobchancen
Von Anna Steiner, Frankfurt
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine Ende Februar haben Millionen das Land verlassen. Die meisten von ihnen verbleiben in den direkten Nachbarländern wie etwa in Polen, doch ein nicht unbeachtlicher Teil reist auch nach Deutschland weiter. Viele von ihnen wollen bleiben – und haben aufgrund ihrer Qualifizierung gute Chancen auf eine erfolgreiche Integration am deutschen Arbeitsmarkt. Es gibt allerdings Hürden.
Laut dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) handelt es sich um die schnellste Zunahme der Fluchtmigration seit dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als acht Millionen Ukrainer haben demnach Zuflucht in anderen Ländern gesucht. 727000 Ukrainer registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Ausländerzentralregister in Deutschland. Ihre tatsächliche Zahl dürfte allerdings höher liegen, denn aufgrund der Visumfreiheit werden viele Geflüchtete nicht offiziell erfasst. Zudem hat die Europäische Union die Asylverfahren durch die pauschale Erteilung einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis ausgesetzt. Eine Arbeitserlaubnis müssen die Geflüchteten allerdings bei der Ausländerbehörde beantragen. Einige Bundesländer sind inzwischen der Empfehlung der Bundesregierung gefolgt, diese in den Aufenthaltstitel mit einzutragen.
Etwa die Hälfte der Ukrainer in Deutschland möchte vorerst im Land bleiben, ergab eine Befragung des Bundesinnenministeriums. Rund 84% sind demnach Frauen, 58% von ihnen sind gemeinsam mit ihren Kindern gekommen. Aufgrund der vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verhängten Generalmobilmachung dürfen Männer im wehrfähigen Alter nicht ausreisen, was die hohe Frauenquote erklärt. Dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge ist unter den Ankömmlingen mit einer hohen Qualifikation zu rechnen – ein Plus auf dem deutschen Arbeitsmarkt, wo der Fachkräftemangel sich mit dem Abklingen der Coronavirus-Pandemie weiter verschärft.
Gute Sprachkenntnisse
Ukrainische Kinder besuchen neun Jahre lang allgemeinbildende Schulen und entscheiden dann zwischen Bildungswegen, an deren Ende ein Abitur, ein Abschluss als „Qualifizierter Arbeiter“, „Spezialist“ oder ein Diplom steht. „Gute Bildung begünstigt natürlich die Integration der Geflüchteten“, sagt IAB-Experte Herbert Brücker. Für eine echte Chance auf dem Jobmarkt spricht zudem, dass die Entwicklung der Deutschkenntnisse von Ukrainern hierzulande deutlich oberhalb der anderer Migrationsgruppen liegt.
Das Netzwerk „Integration durch Qualifizierung“, das vom BAMF administriert wird, veröffentlichte erste Daten zur Beratung von Geflüchteten aus der Ukraine. Demnach hatten knapp zwei Drittel bereits Kenntnis der deutschen Sprache, etwa 40% gute bis sehr gute. Ein Fünftel der Beratenen suchte eine Anstellung als Lehrer, etwa 10% waren Betriebswirt, fast jeder zehnte Ingenieur. Viele weitere wollten als Pflegekräfte arbeiten.
Die besten Integrationschancen bestehen, wenn Geflüchtete eine Tätigkeit entsprechend ihrer Qualifikation ausüben, schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Studie. Davon profitiert auch die Wirtschaft, denn der Fachkräftemangel spitzt sich seit Jahren zu. Die Ukrainer, die vor dem Krieg bereits in Deutschland lebten, arbeiteten am häufigsten in der Unternehmensführung und in medizinischen Gesundheitsberufen. Im Vergleich zu anderen Migrationsgruppen (36,7%) übten deutlich weniger ukrainische Staatsangehörige eine Helfer- oder Anlerntätigkeit aus (25%). Mit Blick auf die Personalengpässe gibt es dem IW zufolge derzeit die besten Jobchancen in der IT sowie in der Pflege. Der Studie zufolge waren im Vorkriegsjahr besonders viele Ukrainer in Deutschland in diesen Berufen beschäftigt.
Die Autoren der IW-Studie äußern sich zur Zukunft der geflüchteten Ukrainer in Deutschland durchaus optimistisch: Es sei zu erwarten, „dass auch die Geflüchteten, die im Zuge des jetzigen Krieges nach Deutschland kommen, kurz-, mittel- oder langfristig gute Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben“. Dabei helfen soll eine unbürokratische Anerkennung der Berufsqualifikation.
Noch ist unsicher, wie viele der Kriegsflüchtlinge tatsächlich in Deutschland bleiben. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel geht aber von einer deutlich steigenden Zahl aus. Für die ersten laufe in Kürze die 90-Tage-Frist für einen visafreien Aufenthalt aus. Da der Krieg andauert, könnten sich viele für einen Verbleib in Deutschland entscheiden oder aus Erstaufnahmeländern wie Polen nach Deutschland weiterziehen. „Bund, Länder und Kommunen müssen deshalb jetzt Kapazitäten für die Aufnahme von weiteren Geflüchteten in Deutschland schaffen und Unterkunft, Spracherwerb, Kinderbetreuung und Arbeitsmarktintegration in die Wege leiten“, mahnt Tobias Heidland, Leiter des Forschungsbereichs Internationale Entwicklung am IfW. Zudem sei aufgrund der Unterschiede zwischen den EU-Staaten in der Unterstützung der Geflüchteten mit einer Zunahme zu rechnen.