Gemischte Signale der Euro-Inflation
ms Frankfurt
Ein unerwartet starker Rückgang der Inflation im Euroraum im Dezember von 10,1% auf 9,2% hat die Zuversicht verstärkt, dass der Höhepunkt der Teuerung überschritten ist und es in diesem Jahr weiter deutlich nach unten geht. Allerdings zog die Kernrate ohne die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise sogar noch einmal an und markierte mit 5,2% ein Rekordhoch – was für einen künftig zwar geringeren, aber hartnäckigen Preisdruck spricht. Die gemischten Signale heizten die Debatte über den Zinskurs der Europäischen Zentralbank (EZB) an. Einige EZB-Granden nehmen bereits den Hochpunkt im Zinszyklus in den Fokus.
Nach langem Zögern hatte die EZB im Juli des vergangenen Jahres mit einer Anhebung um 50 Basispunkte die Zinswende eingeleitet und danach bis Jahresende insgesamt weitere 200 Basispunkte nachgelegt. Das ist seit Einführung des Euro im Jahr 1999 beispiellos. Die Euro-Inflation hatte im Oktober mit 10,6% erstmals die 10-Prozent-Marke geknackt – befeuert vor allem vom Ukraine-Krieg. Zugleich nimmt aber die Rezessionsgefahr zu. Nicht zuletzt deshalb wachsen die Zweifel und die Kritik am EZB-Kurs. Auch aus der Euro-Politik, insbesondere aus Italien, gibt es Kritik. Rom hatte unlängst sogar die Unabhängigkeit der EZB infrage gestellt.
Mitte Dezember hatte die EZB bei ihrer Sitzung doppelt überrascht: Einerseits hatte sie zwar ihre Leitzinsen wie erwartet um 50 Basispunkte erhöht – nach zuvor zwei Anhebungen um 75 Basispunkte in Folge. Unerwartet deutlich hatte sie aber weitere deutliche Zinsschritte und eine Anhebung in den restriktiven Bereich avisiert, also auf ein Niveau, das die Euro-Wirtschaft aktiv bremst. Für Februar und März hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Zinsschritte um jeweils 50 Basispunkte signalisiert. Andererseits hatte der EZB-Rat überraschend schon März als Starttermin für den Abbau der aufgeblähten EZB-Bilanz und ein Abbauvolumen beschlossen. Über den Jahreswechsel hatten dann nationale Inflationsdaten die Hoffnung auf eine künftig sinkende Inflation und eine weniger aggressive Geldpolitik geschürt.
Mit Spannung war deshalb nun die erste Eurostat-Schätzung für die Euro-Inflation im Dezember erwartet worden. Der Rückgang von 10,1% auf 9,2% fiel nun noch einmal stärker aus als erwartet. Von Bloomberg befragte Volkswirte hatten im Mittel 9,5% prognostiziert. Die Energiepreise heizten die Inflation zwar auch im Dezember an. Der Preisanstieg fiel aber mit 25,7% nicht mehr ganz so stark aus wie in den Monaten zuvor. Die Preise für andere wichtige Inflationskomponenten legten dagegen sogar etwas stärker zu als zuletzt. So verteuerten sich Lebensmittel, Alkohol und Tabak im Dezember um 13,8%. Auch die Preise für Industriegüter ohne Energie und für Dienstleistungen legten noch einmal stärker zu als im November.
Entsprechend stieg auch die Kerninflation noch einmal von 5,0% auf 5,2%. Sie gilt als besserer Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck in einer Volkswirtschaft. In der EZB-Spitze ist die genaue Bedeutung der Kernrate aber derzeit durchaus umstritten. Viele Notenbanker werten die hohe Kernrate als Signal, dass sich der Preisdruck zunehmend gefährlich in der Wirtschaft ausbreitet. Andere zweifeln den aktuellen Aussagegehalt an und sehen auch die Kernrate wesentlich von der Energie getrieben, durch indirekte Effekte.
Gegen eine Entwarnung in Sachen Inflation spricht indes auch, dass der Rückgang im Dezember auch auf staatliche Gegenmaßnahmen wie die staatliche Gas-Abschlagszahlung in Deutschland zurückgeht. „Die Inflationsrate sinkt, der Inflationskampf ist aber noch nicht gewonnen“, sagte Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe. Wegen wegfallender staatlicher Hilfen drohe bereits für Januar eine Gegenbewegung. Auch die EZB erwartet zu Jahresbeginn noch einmal höhere Raten. Dann aber setzt sie auf einen raschen Rückgang im Jahresverlauf.
Trotz der positiven Inflationsüberraschung erwarten die meisten Beobachter weiter starke Zinserhöhungen im Februar und März. Andere hoffen aber auf eine langsamere Gangart. Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau erwartet, dass die EZB-Zinsen im Sommer ihren höchsten Stand erreichen werden. Es sei aber zu früh, um zu sagen, wo dieser genau liege, sagte er am Donnerstagabend. „Wir müssen pragmatisch sein und uns von den vorliegenden Daten, einschließlich der Kerninflation, leiten lassen, ohne einen Fetischismus für allzu mechanische Erhöhungen.“ Aus Sicht von Portugals Notenbankchef Mário Centeno nähert sich die EZB allmählich dem Höhepunkt bei den Leitzinsen. Man komme diesem Niveau näher, sollten nicht neue externe Schocks für die Wirtschaft eintreten, sagte er am Freitag.