„Ich versuche mal zu ordnen, was Sie hier gesagt haben“
Von Stefan Paravicini, Berlin
Die Corona-Pandemie, die Beziehungen zur Europäischen Union, die Zukunft des Rentensystems, der Klimawandel, der Wohnungsmarkt, die Regenbogenbeleuchtung der Allianz-Arena und zum Abschluss noch der Ausbau des schnellen Internet – in der letzten Regierungsbefragung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag (CDU) war inhaltlich einiges geboten. Und auch in ihrer letzten Fragestunde im Parlament stellte die Kanzlerin sicher, dass trotz der Themenfülle nichts durcheinandergeht. „Dass verschiedene Virusvarianten auftauchen, damit müssen wir rechnen, solange nicht die gesamte Weltbevölkerung geimpft ist. Und jetzt werde ich nochmal versuchen zu ordnen, was Sie hier gesagt haben“, stellte Merkel nach einer Frage des AfD-Abgeordneten Sebastian Münzenmaier zum Infektionsgeschehen klar.
Nicht nur die Fragen der größten Oppositionspartei im Bundestag hat die Kanzlerin meistens souverän beantwortet. Auch die anderen Fraktionen hatten sich wohl mehr erwartet, als die SPD die Anwesenheit der Bundeskanzlerin bei den Fragestunden im Parlament in den Koalitionsvertrag verhandelt hatte. Staatssekretäre durften Merkel nicht mehr bei Regierungsbefragungen vertreten. Unter Druck geraten ist sie in den Fragestunden allerdings kaum. Das liegt zum einen am Witz und an der Eloquenz der Kanzlerin – beides würde man ihr nach hölzernen Regierungserklärungen glatt absprechen –, die im Austausch mit den Abgeordneten regelmäßig aufblitzen. Es liegt aber auch daran, dass Merkel eine Kulturtechnik beherrscht, die nicht nur in der Politik selten ist: Sie räumt Versäumnisse manchmal unumwunden ein.
„Ich stimme Ihnen zu: Wir sollten hier baldmöglichst eine Lösung finden. Ich werde mich auch dafür einsetzen. Dass es Ihnen zu lange dauert, verstehe ich auch“, sagte Merkel in einer Fragestunde im vergangenen Jahr zur SPD-Abgeordneten Nina Scheer mit Blick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. „Wir können nicht sagen, dass wir genug getan haben – das kann aber auch niemand, da kenne ich niemanden“, sagte Merkel gestern auf die Frage des Grünen-Abgeordneten Oliver Krischer, der die Kanzlerin um eine Bewertung der Klimapolitik der vergangenen 16 Jahre gebeten hatte.
Der Klimaexperte weiß aus eigener Erfahrung, dass es in den Fragerunden mit der Kanzlerin auch anders ausgehen kann. „Das Traurige ist, Herr Krischer, dass ich weiß, dass Sie mir gut zuhören, und es dann trotzdem falsch wiedergeben“, sagte Merkel in einer Fragestunde im Frühjahr 2019 streng.
Auch der FDP-Abgeordnete Johannes Vogel bewies am Mittwoch Mut, als er sich mit einer Frage zum Rentensystem zu Wort meldete. „Für diese Meinungsbildung brauche ich noch ein paar Stunden, Herr Vogel. Aber ich werde Sie dann informieren“, antwortete die Kanzlerin ihm zum gleichen Thema im Mai vergangenen Jahres. Das Protokoll vermerkt „Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD“.
Der heiterste Moment in Merkels letzter Fragestunde kam, als die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws fragte, ob die Kanzlerin eine Präferenz für eine Frau als ihre Nachfolgerin habe. Die Bundeskanzlerin schmunzelte kurz, eine Wahlempfehlung für die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, gab es trotzdem keine. „Ich denke, dass nach 16 Jahren Angela Merkel die Bürgerinnen und Bürger mündig genug sind, ihre Entscheidung zu treffen, wen sie als Kanzler oder Kanzlerin wollen.“