Doppelkrise lässt deutscher Wirtschaft die Luft ausgehen
Doppelkrise hält Wirtschaft am Boden
Institute senken Wachstumsprognosen für Deutschland – Arbeitslosigkeit steigt – Konsum und Investitionen enttäuschen
lz Frankfurt
Die deutsche Wirtschaft dürfte wegen tiefgreifender struktureller Probleme auch künftig allenfalls ein anämisches Wachstum hervorbringen. Aktuell steckt sie zudem in einer Konjunkturflaute. Forschungsinstitute senken reihenweise ihre Prognosen. Und die Politik macht mit falschen Weichenstellungen alles noch schlimmer.
Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Doppelkrise aus Konjunkturschwäche und massiven Strukturproblemen fest. In der Folge haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute inzwischen ihre Wachstumsprognosen für 2024 und die folgenden Jahre teilweise drastisch zurückgenommen. Und auch wenn die Wirtschaft sich im nächsten Jahr erholen sollte, so der Konjunkturchef des Ifo-Instituts Timo Wollmershäuser, seien wegen der langen Investitionszurückhaltung, des insgesamt gesunkenen Potenzialwachstums und aus demografischen Gründen auf absehbare Zeit „keine großen Sprünge mehr zu erwarten“.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte in diesem Jahr auf dem Niveau von 2023 verharren, erwartet das Münchner Ifo-Institut in seiner Prognose. Im Juni war es noch von einem Wachstum von 0,4% ausgegangen. Auch das IWH in Halle rechnet nur noch mit Stagnation, während das Essener RWI zumindest ein Mini-Plus von 0,1% erwartet. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hatte schon tags zuvor seine Vorhersage gekappt und geht davon aus, dass das BIP sogar um 0,1% schrumpfen wird.
„Die deutsche Wirtschaft dümpelt vor sich hin, während andere Länder den Aufwind spüren“, sagt Ifo-Konjunkturchef Wollmershäuser. Seines Erachtens ist das auf der einen Seite eine konjunkturelle Krise, weil die Auftragslage einfach schlecht ist und die Verbraucher ihre Kaufkraftgewinne nicht in höheren Konsum stecken, sondern mehr sparen, weil sie verunsichert seien. Obendrein befindet sie sich aber auch in einer strukturellen Krise, weil insbesondere die Industrie zu wenig investiere und die Produktivität seit Jahren auf der Stelle trete.
„Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel, Corona-Pandemie, Energiepreisschock und eine veränderte Rolle Chinas in der Weltwirtschaft setzen etablierte Geschäftsmodelle unter Druck und zwingen Unternehmen, ihre Produktionsstrukturen anzupassen“, sagt Wollmershäuser. Daher herrscht eine Investitionsflaute vor allem in der Industrie, die in Deutschland einen deutlich höheren Anteil an der Wirtschaftsleistung habe als anderswo. „Und die Bevölkerung wird schneller altern, immer weniger Menschen stehen in Arbeit. Verschiebungen vom Industrie- zum Dienstleistungssektor erklären größtenteils den Produktivitätsstillstand der vergangenen Jahre“, ergänzt er.
Die Politik ist vor diesem Hintergrund aber offenbar keine Hilfe. Die 49 Einzelprojekte der Wachstumsinitiative der Bundesregierung seien in der Prognose schon einberechnet, betont Wollmershäuser. Er hält das allermeiste ohnehin für „alten Wein in neuen Schläuchen“. Für einen Teil der Investitionszurückhaltung der Unternehmen macht er auch die Politik selbst verantwortlich, weil sie durch Subventionen und ökonomische Feinsteuerung die Wirtschaft bevormundet und ihr nicht die Entscheidung etwa über Technologien überlässt.
Um den Strukturwandel zu beschleunigen und die mentalen Blockaden zu lockern, spricht sich das Ifo-Institut für eine tiefgreifende Steuerreform aus. Das soll Investitionen und Ansiedlungen wieder attraktiv machen. Finanzieller Spielraum dafür wäre vorhanden angesichts eines erwarteten Staatsdefizits von 2,0% im laufenden Jahr und 1,3 bzw. 0,9% in den Folgejahren. Obendrein sollte man sich, so Wollmershäuser, zudem auf eine Reform der Schuldenbremse verständigen. Sie sei zu restriktiv ausgestaltet und schränke die Politik zu stark ein.
Die Prognosen der Institute im Einzelnen:
Kiel Institut für Weltwirtschaft
HWWI Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut