Tarifrunde 2022

IG Metall fordert sattes Lohnplus

Die IG Metall fordert ein Lohnplus von 7 bis 8 Prozent. Auch in anderen Branchen wird für deutlich höhere Lohnabschlüsse gestritten. Die Daten geben den Gewerkschaften recht, denn zuletzt stiegen die Tariflöhne unterdurchschnittlich.

IG Metall fordert sattes Lohnplus

Von Anna Steiner, Frankfurt

Die IG Metall fordert in der im Herbst anstehenden Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie ein Lohnplus zwischen 7 und 8% für die 3,9 Millionen Beschäftigten der Branche. „Den Unternehmen geht es gut. Nicht gut geht es aber den Be­schäftigten“, begründet der Chef der größten deutschen Einzelgewerkschaft, Jörg Hofmann, das ge­forderte Plus. Das Votum des Vorstands der IG Metall ist nicht endgültig, sondern wird erst in den kommenden Wochen von den regionalen Tarifkommissionen beraten und abschließend noch einmal vom Vorstand bestätigt.

„Unverantwortlich“

In der Coronakrise sei es in erster Linie um die Sicherung von Beschäftigung gegangen – auch in der Metall- und Elektroindustrie, sagte Hofmann am Montag in Frankfurt. Nun gehe es darum, die Kaufkraft der Bürger für den privaten Konsum zu erhalten. Breche der private Konsum ein, könnte eine Rezession drohen. Allerdings, so machte der Gewerkschaftschef deutlich, könne die IG Metall nur einen Teil zur Entlastung beitragen. Hofmann forderte in Richtung der Politik erneut eine gezielte Entlastung der Haushalte „angesichts der Preise an der Supermarktkasse und an der Zapfsäule“.

Die Metallarbeitgeber bezeichneten die Forderungsempfehlung in einer ersten Reaktion als nicht angemessen. „Die Lage in der Metall- und Elektro-Industrie schönzureden, ist verantwortungslos“, erklärte Stefan Wolf, Gesamtmetall-Präsident. Nach einer aktuellen Umfrage des Verbandes wachsen in der Branche Existenzsorgen wegen steigender Kosten, die nicht vollständig über die Preise abgewälzt werden könnten. Drei Viertel der Unternehmen rechneten deshalb mit sinkenden Erträgen, ein Fünftel sähe ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann betonte, die Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie werde nicht der Startschuss für eine Lohn-Preis-Spirale sein. „Wir bleiben sehr klar und sehr konstant in unserer Linie“, so Hofmann. Rechengrundlage der Forderung sei zudem bewusst nicht die aktuelle Inflationsrate, sondern die Zielinflation der Europäischen Zentralbank (EZB), die bei 2% liegt, und die Trendproduktivität in Deutschland, die aktuell bei 1,1% liegt. Wäre die aktuelle Teuerungsrate Grundlage der Berechnung, wäre die Forderung der IG Metall zweistellig, hatte Hofmann im Vorfeld der Vorstandssitzung am Montag gesagt. Die Bundesbank erwartet für das Gesamtjahr eine Teuerungsrate von 7,1% gemessen am sogenannten harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI).

Mit einer hohen Lohnforderung steht die IG Metall nicht allein da. Angesichts haussierender Preise kämpfen auch andere Branchen für kräftige Gehaltssteigerungen oder Einmalzahlungen. Vergangene Woche einigten sich IG Metall und der Arbeitgeberverband Stahl für die 68000 Beschäftigten der Stahlindustrie auf 6,5% mehr Lohn. Es handelt sich um die höchste prozentuale Steigerung seit 30 Jahren. Gefordert hatten die Gewerkschaften 8,2% mehr Lohn. Zudem vereinbarten die Sozialpartner einen Energiebonus von 500 Euro für Arbeiter und 200 Euro für Auszubildende für Juni und Juli.

Eine Brückenlösung erstritt die IG BCE bereits Anfang April für die 580000 Tarifbeschäftigten der Chemie-Industrie. Sie erhalten eine Einmalzahlung von 1400 Euro, um die Haushalte von den stark gestiegenen Preisen zu entlasten. Im Herbst wird dann weiterverhandelt. Auf sieben Monate betrachtet entspricht das einem kurzfristigen Lohnplus von 5,3% – in den unteren Lohngruppen sogar von bis zu 7,4%.

Kein Ausreißer

Laut Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung liegen die bisherigen Ab­schlüsse 2022 nicht dramatisch oberhalb der Vorjahre. Ein Blick auf die Entwicklung der Tariflöhne in den vergangenen zwei Jahrzehnten macht deutlich, dass von einer überschießenden Lohnentwicklung nicht die Rede sein kann. Die meisten Abschlüsse folgen – wie auch die nun von der IG Metall anvisierten 7 bis 8% – der EZB-Regel, also der Kombination aus Zielinflationsrate und Trendproduktivität. Bis 2012 stiegen die Löhne dem WSI zufolge eher unterdurchschnittlich, bis zur Coronakrise konnte die Lücke nicht ausgeglichen werden – und nach Ausbruch der Pandemie zeigten sich die Gewerkschaften zurückhaltend (siehe Grafik).

In einer aktuellen Betrachtung der bisherigen Abschlüsse 2022 schreiben die WSI-Ökonomen: „Die Zeiten, in denen Pilotabschlüsse in wichtigen Industriebranchen den Trend einer gesamten Lohnrunde bestimmten, sind lange vorbei. Die Lohnentwicklung hat sich ausdifferenziert.“ Die Gefahr einer gesamtwirtschaftlichen Lohn-Preis-Spirale sehen sie daher als nicht gegeben. Allerdings räumt das WSI ein, dass der Kostendruck für die Unternehmer deutlich steigt – dafür sorgt nicht nur die aktuelle Preishausse unter der viele Betriebe ebenfalls ächzen, sondern auch die frisch beschlossene Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro.

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