Immer mehr Volkswirte preisen Rezession ein
rec Frankfurt
Immer mehr Konjunkturexperten rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaft in eine Rezession abdriftet. Am Freitag senkten auch die Ökonomen von Commerzbank und DekaBank ihre Erwartungen an das Wirtschaftswachstum über die kommenden Quartale bis ins nächste Jahr: 2023 dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) beiden Instituten zufolge sogar schrumpfen. Laut Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums haben sich die Konjunkturaussichten für das zweite Halbjahr erheblich eingetrübt.
Nach einem Plus von 0,8% im ersten Quartal hat die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal stagniert. Die Vorzeichen für die kommenden Wochen und Monate sind durchwachsen und von großer Unsicherheit geprägt: Während sich die Gasspeicher trotz verminderter Lieferungen aus Russland Tag für Tag füllen, spitzt sich die Lage auf dem Rhein angesichts sinkender Pegel zu. Das bereitet Unternehmen wie dem Chemiekonzern BASF Kopfzerbrechen. Aber auch für Kohlekraftwerke, die als Ersatz für Gaskraftwerke stärker zum Einsatz kommen sollen, zeichnen sich Lieferprobleme ab. Zudem dürfte die geplante Gasumlage, deren Höhe an diesem Montag veröffentlicht wird, die Kaufkraft der Verbraucher weiter schmälern.
„Rezession in der Pipeline“, schreiben die Ökonomen der Commerzbank um Chefvolkswirt Jörg Krämer nach ihrer monatlichen Prognosesitzung. Sie erwarten nun, dass die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr schrumpfen wird. Das Ergebnis: Nur noch 1,3% Wachstum im Gesamtjahr 2022 und ein Minus von 0,5% im kommenden Jahr. Für die Eurozone erwarten sie ebenfalls eine Rezession und Nullwachstum 2023. Zwischenzeitlich werde die Europäische Zentralbank (EZB) deshalb mit Zinserhöhungen pausieren müssen.
Eine Spur weniger pessimistisch sind die Kollegen der DekaBank. Sie haben ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr minimal auf 1,5% angehoben. Dafür preisen sie über den Jahreswechsel einen spürbaren Abschwung ein: 2023 dürfte das BIP laut DekaBank um 0,2% schrumpfen statt um 1% wachsen. „Zumindest um eine milde technische Rezession wird die deutsche Volkswirtschaft nicht umhinkommen.“ Die momentane Lage der Unternehmen sei noch verhältnismäßig gut, aber die Juli-Umfrage des Ifo-Instituts zu den Geschäftserwartungen signalisiere eine starke Abkühlung und Rezession. Aufschluss darüber, wie Marktteilnehmer Lage und Aussichten einschätzen, werden die ZEW-Konjunkturerwartungen am Dienstag liefern.
Etwas zuversichtlicher sind – zumindest mit Blick auf die nackten Zahlen – die Ökonomen der DZ Bank: 1,3% Wachstum in diesem und 0,8% im nächsten Jahr zeugen von einer vergleichsweise milden Abwärtsrevision. Gleichwohl sei die deutsche Wirtschaft mit dem laufenden Sommerquartal in eine „rezessive Phase“ geraten. Außerdem setzt die DZ Bank voraus, dass es nicht zu einer Gasmangellage kommt. Laut den Konjunkturforschern des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts ist eine Rezession weiterhin das wahrscheinliche Szenario, das Risiko sei aber zumindest nicht mehr gestiegen.
Mahnend äußerte sich am Freitag das Bundeswirtschaftsministerium im Monatsbericht. Zwar habe sich die Wirtschaft im ersten Halbjahr besser als vielfach erwartet geschlagen. „Allerdings sorgen die seit Mitte Juni reduzierten Gaslieferungen, die nochmals gestiegenen Energiepreise, die fortwirkenden Lieferengpässe sowie die allgemein erhöhte Unsicherheit für deutlich schlechtere Aussichten für das zweite Halbjahr.“
Dem positiven Trend vollerer Gasspeicher stehen sinkende Pegel auf dem Rhein gegenüber. Deutschlands wichtigste Wasserstraße droht mancherorts unpassierbar zu werden. Der Wasserstand am viel beachteten Messpunkt Kaub im Mittelrhein ist offiziellen Angaben zufolge auf einen niedrigeren Stand als 2018 gesunken. Seinerzeit stand der Frachtverkehr im Herbst wochenlang still. Deshalb fürchten Beobachter, dass Niedrigwasser die Schifffahrt diesmal noch länger zum Erliegen bringen könnte. Die Ökonomen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) schätzen „die möglichen Einbußen für die deutsche Wirtschaft infolge des Niedrigwassers aktuell auf rund 0,25% bis 0,5% des BIP, womit eine Rezession nunmehr noch schwerer zu vermeiden sein dürfte“.