Geldpolitik

Inflationssprung schürt Zinsdebatte

Vergeblich hat EZB-Chefin Lagarde versucht, Spekulationen über Zinserhöhungen zu ersticken. Ein sprunghafter Anstieg der Verbraucherpreise befeuert die Debatte. Beobachter haben ihre Inflationsprognosen erhöht.

Inflationssprung schürt Zinsdebatte

rec Frankfurt

Ein sprunghafter Anstieg der Inflationsrate im Euroraum befeuert die Debatte über den Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Verbraucherpreise haben im Oktober laut einer ersten Schätzung des Statistikamts Eurostat auf Jahressicht um 4,1% angezogen. Ein so hoher Wert wurde erst ein einziges Mal seit Bestehen des Euro registriert. Die Inflationsrate lag deutlich über den von Ökonomen im Durchschnitt erwarteten 3,7%. Für November zeichnet sich ein neuer Rekord ab. Das dürfte Spekulationen darüber schüren, die EZB könnte entgegen wiederholten Ankündigungen bereits im kommenden Jahr zu einer Leitzinserhöhung gezwungen sein.

EZB-Chefin Christine Lagarde war solchen Spekulationen im Anschluss an die an und für sich ereignisarme Ratssitzung wie schon ihr Chefvolkswirt Philip Lane entschieden entgegengetreten. Trotzdem hat sich an den Märkten die Erwartung verfestigt, dass die EZB den für die Banken besonders relevanten Einlagensatz von derzeit –0,5% bereits 2022 um 20 Basispunkte anheben wird. Lagarde sagte, die Analysen der EZB würden solche Erwartungen „nicht unterstützen“. Investoren zeigten sich davon unbeeindruckt. Die Märkte hätten Lagarde ihren „Bluff“ nicht abgekauft, hieß es unter Analysten.

Lagarde zufolge standen die Beratungen des EZB-Rats ganz im Zeichen der Inflation. Die hat im Jahresverlauf deutlich stärker zugenommen als erwartet, auf nunmehr 4,1% – nach 3,4% im September. Bislang hatte der EZB-Rat diese Entwicklung stets als „großteils vorübergehend“ bezeichnet. Auf diese Formulierung verzichteten die Währungshüter diesmal in ihrem Statement zu den – inhaltlich unveränderten – geldpolitischen Beschlüssen, wie Beobachter betonten. Lagarde bekräftigte indes die Auffassung eines temporären Anstiegs der Inflation in ihrer anschließenden Pressekonferenz.

Die Währungshüter kalkulieren laut der Nachrichtenagentur Bloomberg inzwischen ein, dass die Inflation auch kommendes Jahr im Durchschnitt über dem EZB-Ziel von 2% liegen könnte. Umstritten sei der Ausblick über 2022 hinaus, hieß es. Neue Schätzungen legt die EZB Mitte Dezember vor. Der letzten Ratssitzung des Jahres wird entscheidende Bedeutung zukommen, zumal der EZB-Rat dann über die Zukunft der Anleihekäufe entscheiden muss.

Von der EZB regelmäßig befragte Experten haben ihre Inflationsprognosen bereits durchweg angehoben. Laut dem am Freitag veröffentlichten „Survey of Professional Forecasters“ rechnen sie für das laufende Jahr im Schnitt mit 2,3%, 2022 dann mit 1,9%. Beides entspricht einer Aufwärtsrevision um 0,4 Prozentpunkte zur Umfrage vor drei Monaten. 2023 rechnen die Experten mit 1,7%, in fünf Jahren mit 1,9% Inflation (siehe Grafik). An den Finanzmärkten haben die Inflationserwartungen für die Jahre 2026 bis 2031 die 2-Prozent-Marke überschritten. Das zeigt der sogenannte Five-Year-Five-Year-Forward.

Getrieben wird die Inflation im Euroraum in erster Linie von rasant steigenden Energiepreisen. Dieser Effekt dürfte sich beizeiten abschwächen. Problematisch ist aus Sicht von Ökonomen neben der Sorge vor möglichen Zweitrundeneffekten durch Lohnerhöhungen vor allem, dass Materialengpässe zu einer Art Dauerzustand geworden sind. Der Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten hält deutlich länger an, als allen voran die EZB unterstellt hatte, wie Lagarde einräumte. Mit Blick darauf hat nun auch die Helaba ihre Inflationsprognosen angehoben. Helaba-Ökonom Stefan Mütze schrieb: „Zunehmend wird deutlich, dass sich die Logistikprobleme und die Knappheiten bei einzelnen Gütern wie Halbleitern oder Magnesium nicht vor 2022 verringern.“ Und Christian Lips, Chefvolkswirt der Nord/LB, konstatiert: „Der Kampf um die Deutungshoheit der aktuellen Inflationsentwicklung ist in vollem Gange.“ Das gilt auch mit Blick auf die Zinswetten.