KI und Geldpolitik: Braucht man noch Zentralbanker?
KI und Geldpolitik: Braucht man noch Zentralbanker?
Einst schlug Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman eine regelgebundene Geldpolitik vor, die der Notenbank im Prinzip jeden Handlungsspielraum nehmen würde. Konkret sah Friedmans Vorschlag ein konstantes Geldmengenwachstum von 3 bis 5% vor. Damit würde unter anderem die Gefahr der Prozyklizität der Geldpolitik und die Versuchung vermieden, Zentralbanken zum Erreichen kurzfristiger Ziele einzusetzen – wie etwa kurz vor Wahlen die Konjunktur anzukurbeln. Im Ergebnis hätte dies eine Notenbank als wirtschaftspolitische Institution praktisch überflüssig gemacht. Die Idee wurde nie verwirklicht. Jedoch könnte es jetzt im Zeitalter von KI dazu kommen, dass diese Institution in der jetzigen Form doch noch obsolet wird, wenn auch in einer ganz anderen Art und Weise, als Friedman dies im Sinn gehabt hat.
Konkret geht es um die Idee, dass wir in Zukunft in Zentralbanken keine Menschen mehr benötigen, sondern stattdessen KI-Agenten eingesetzt werden, weil diese bessere Entscheidungen treffen als menschliche Geldpolitiker.
Bessere Entscheidungen durch KI
Entscheidungen über die angemessene Höhe des Leitzinses werden auf der Basis von Prognosen getroffen. Diese Prognosen wiederum sind das Ergebnis von Tausenden von Preis-, Konjunktur- und Finanzmarktdaten, die in einem quantitativen Modell berücksichtigt werden. Dabei werden Szenarien unterschiedlicher Leitzinsentscheidungen berücksichtigt. Komplementär dazu werden Big Data herangezogen, die teilweise keinen unmittelbar sichtbaren ökonomischen Bezug haben, in denen KI-Anwendungen jedoch relevante Muster erkennen. Der Weg zu den Ergebnissen ist häufig eine Black Box. Dennoch verlassen sich Zentralbanker zunehmend auf diese Modelle, die Aussagen über die wahrscheinlichste Entwicklung von Inflation und Wachstum treffen.
Es steht außer Frage, dass Prognosemodelle in der nahen Zukunft mithilfe neuer KI-Anwendungen und einer Flut von Realtime-Daten weiter verfeinert werden. Dass die Wirtschaftsleistung ebenfalls bald in dieser Frequenz zuverlässig erfasst wird, ist nur noch eine Frage der Zeit.
Diese Entwicklungen haben das Potenzial, zu grundlegenden Änderungen in der Geldpolitik zu führen: Ein KI-Agent könnte täglich die Daten verarbeiten und in Reaktion auf bestimmte Entwicklungen die Geldpolitik anpassen. Zinsen würden in einem solchen Szenario nicht mehr in Schritten von 0,25 Prozentpunkten und dessen Vielfaches, sondern von 0,01 Prozentpunkten und Multiplen davon angepasst werden.
Hochfrequente Geldpolitik
Der Wechsel zu einer KI-gesteuerten hochfrequenten Geldpolitik würde nicht von einem Tag auf den anderen erfolgen. In einem ersten Schritt könnten Notenbanker die Anzahl der Sitzungstermine erhöhen, weil regelmäßig neue Daten hereinkommen, die eine Neubewertung der Lage notwendig machen können. Gut möglich, dass man in einem weiteren Schritt ganz offiziell einen KI-Agenten an den Notenbanksitzungen teilnehmen lässt, der seine Argumente erläutert und neben den menschlichen Teilnehmern auch ein Stimmrecht hat.
Irgendwann könnten Beobachter argumentieren, dass es sich bei den Notenbanksitzungen nur noch um ein altmodisches Ritual handelt, das menschliche Entscheidungen vortäuscht, aber faktisch sich danach richtet, was die KI-Modelle empfehlen. Politisch könnte in diesem Fall das Argument verfangen, dass durch eine Automatisierung der Geldpolitik viele Personalkosten und Steuermittel gespart werden.
Beschleunigter Transmissionsmechanismus
Dass Geldpolitik traditionell mit einer Verzögerung wirkt, spricht scheinbar gegen zukünftige hochfrequente geldpolitische Entscheidungen. Bei dieser Argumentation bleibt jedoch unberücksichtigt, dass KI selber den Transmissionsmechanismus der Geldpolitik beschleunigen könnte. Denn KI wird in Zukunft in praktisch allen Wirtschaftssektoren eingesetzt werden. Banken werden in dieser noch schnelllebigeren Welt Zinsänderungen vermutlich zeitnäher an ihre Kunden weitergeben. Geldpolitische Maßnahmen dürften in der Wirtschaft schneller zu spüren sein, als das heutzutage der Fall ist.
Insgesamt gibt es eigentlich nur eine Schlussfolgerung: Die Komplexität der wirtschaftlichen Entwicklungen und Reaktionen werden in Zukunft von der KI besser erfasst werden als von Menschen. Also wird – vielleicht in 10 bis 15 Jahren – nur noch die KI geldpolitische Entscheidungen treffen. Sicher? Nein.
Offene Wirkung von KI auf Inflation
Zum einen wird man kaum nachweisen können, dass eine KI-gesteuerte Geldpolitik tatsächlich bessere Ergebnisse liefert. Denn durch das Eindringen von KI in alle Wirtschaftsbereiche passieren Strukturbrüche, die die Inflationsdynamik komplett ändern dürften. Beispielsweise stehen inflationsdämpfende KI-bedingte Produktivitätssteigerungen einem preistreibenden Anstieg des Energiebedarfs der KI-Anwendungen gegenüber. Gut möglich, dass Fed und EZB ihr Inflationsziel von 2% auch mit KI-Agenten lange Zeit verfehlen würden.
Zum anderen steht die Frage im Raum, ob die Politik bereit wäre, das geldpolitische Heft aus der Menschenhand zu geben und komplett einer KI zu übergeben. Dies hängt in Demokratien von den gesellschaftlichen Mehrheiten ab. Dem oben genannten Argument der Kosteneinsparungen steht gegenüber, dass Extremsituationen vorstellbar sind, in denen sich übergeordnete Ziele ergeben, mit denen die KI nicht adäquat umgehen kann.
Wenn etwa ein Land von einer Klimakatastrophe betroffen ist, die von einem handlungsfähigen Staat den Wiederaufbau ganzer Regionen erfordert und dieser Kraftakt nur durch eine inflationäre von der Notenbank finanzierte Verschuldung gestemmt werden kann, müssten menschliche Entscheidungsträger herangezogen werden. Tatsächlich wiegt dieses Argument schwer und bedeutet meines Erachtens, dass – ähnlich wie beim selbstfahrenden Auto – der Mensch stets die Möglichkeit haben sollte, ins Steuer zu greifen. Um dies in einer sinnvollen Weise zu tun, muss es aber Personen geben, die kontinuierlich in der Lage sind, geldpolitische Entscheidungen zu treffen, und nicht nur im Katastrophenfall zu Rate gezogen werden. Die Spezies der Zentralbanker wird so rasch nicht aussterben, KI zum Trotz.
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