Im InterviewArnab Das, Invesco

„Ich rechne nicht mit einer schnellen De-Dollarisierung“

Für Arnab Das, Global Market Strategist der Fondsgesellschaft Invesco, stehen Inflation und Geldpolitik an erster Stelle, wenn es darum geht, höhere Laufzeitprämien für Staatsanleihen zu erklären. Die Federal Reserve habe ihre Glaubwürdigkeit an den Märkten nicht verloren. Mit einer schnellen De-Dollarisierung rechnet er nicht.

„Ich rechne nicht mit einer schnellen De-Dollarisierung“

IM INTERVIEW: ARNAB DAS

"Ich rechne nicht mit einer schnellen De-Dollarisierung"

Der Invesco-Marktstratege über die Glaubwürdigkeit der Fed, die US-Staatsverschuldung und mögliche Alternativen zum Dollar

hip London

Für Arnab Das, Global Market Strategist der Fondsgesellschaft Invesco, stehen Inflation und Geld­politik an erster Stelle, wenn es darum geht, höhere Laufzeitprämien für Staatsanleihen zu erklären. Die Federal Reserve habe ihre Glaubwürdigkeit an den Märkten nicht verloren.

Herr Das, die USA haben in einem Wahljahr das größte Defizit in Friedenszeiten. Die Zinsen sind vergleichsweise hoch. Keine gute Kombination, oder?

Das Wichtigste ist, dass die Inflation unter Kontrolle gebracht werden muss. Das scheint zu passieren. Denn wenn sich die Teuerung nicht in den Griff bekommen ließe, wären die Zinsen weitaus höher. Und eine höhere Inflation und höhere Zinsen würden in einem Wahljahr für zusätzliche Turbulenzen sorgen. Außerdem wäre das ein Problem für das US-Finanzministerium. Es wäre noch weniger Geld für Ermessensausgaben da.

Arnab Das, Global Market Strategist, Invesco

Invesco

Spielen sie eine große Rolle?

Im US-Haushalt machen sie 12% aus, der Rest entfällt auf Leistungen, auf die es einen Rechtsanspruch gibt: Schuldendienst, Gehälter im öffentlichen Sektor, Landesverteidigung. Das Verteidigungsbudget wird wohl in jedem Fall steigen, egal wer die Wahl im Herbst gewinnt. Das ist ein Grund, warum wir die Laufzeitprämie unter die Lupe genommen haben – institutionelle Investoren in den USA und anderen Ländern haben danach gefragt.

"Das Wichtigste ist, dass die Inflation unter Kontrolle gebracht werden muss. Das scheint zu passieren. Denn wenn sich die Teuerung nicht in den Griff bekommen ließe, wären die Zinsen weitaus höher."

Arnab Das, Invesco

Was ist das für eine Prämie?

Diese Prämie ist der Renditeaufschlag, den Investoren fordern, wenn sie Geld für längere Zeiträume bereitstellen, anstatt immer wieder kurzzeitig Geld zu verleihen, etwa in Form von Treasury Bills. Wie Sie sich vielleicht erinnern, gab es im zweiten Halbjahr 2023, insbesondere im dritten Quartal, viel Unruhe, weil in den Vereinigten Staaten und anderswo höhere Laufzeitprämien verlangt wurden.

Was waren die Ursachen?

Man überlegte, ob das an der exzessiven Staatsverschuldung oder den trotz eines robusten Wachstums hohen Defiziten liegen könnte. Die US-Verschuldung bewegt sich auf einem in Friedenszeiten nie gesehenen Niveau. Dabei herrscht Vollbeschäftigung und die Wirtschaft wächst ziemlich stark. Vielleicht war es ein Ausdruck der "De-Dollarisierung", der Schwächung der Rolle des Dollar als Reservewährung. Vielleicht spiegelte sich auch ein Verlust der Glaubwürdigkeit der US-Notenbank darin wider oder ein Verlust der fiskalpolitischen Glaubwürdigkeit der Regierung. Wir haben uns vor diesem Hintergrund die Laufzeitprämien angesehen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Es gibt keinen expliziten Preis, sondern diverse Modelle, mit denen die Laufzeitprämie geschätzt wird. Wir haben einige dieser Modelle auf andere Märkte angewandt, um zu sehen, was dort passiert. Die Modelle kommen häufig zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Höhe der Laufzeitprämie, stimmen aber in der Regel in Bezug auf Richtung und Ausmaß etwaiger Veränderungen dieser Prämie überein. In Australien erstellt das Parliamentary Budget Office eigene Schätzungen zur Laufzeitprämie. Die Daten zeigen, dass sie die in den USA geforderte Prämie übersteigt, obwohl das Land im Vergleich zu den Vereinigten Staaten fiskalisch kerngesund ist. Wir haben uns also angesehen, wann die Renditen langlaufender US-Staatsanleihen in die Höhe gegangen sind und wann die Laufzeitprämien gestiegen sind.

"Wir haben uns viele Märkte angesehen, auch ein paar Emerging Markets, auf die sonst kaum jemand achtet. Unsere Schlussfolgerung war, dass es wirklich um Inflation und Geldpolitik geht."

Arnab Das, Invesco

Und wie sah das Ergebnis aus?

Fast jede große Bewegung erfolgte nach einer Mitteilung der US-Notenbank oder Inflationsdaten, nicht nach einer Verlautbarung oder Datenveröffentlichung zum Haushalt. Wir haben uns viele Märkte angesehen, auch ein paar Emerging Markets, auf die sonst kaum jemand achtet. Unsere Schlussfolgerung war, dass es wirklich um Inflation und Geldpolitik geht.

Fiskalpolitik spielt also keine Rolle?

Das soll es natürlich nicht heißen. Wir glauben aber, dass fiskalpolitische Probleme dadurch ihren Eingang finden, dass der Markt eine viel höhere Laufzeitprämie fordert, wenn die Regierung es bei der Wiederankurbelung der Wirtschaft übertreibt, und vor allem, wenn die Notenbank die Kontrolle über die Inflation verliert. Das entspricht eigentlich dem, was man erwarten sollte, wenn man theoretisch an das Thema herangeht. Aber es war interessant, das in den Daten und im Output der Modelle zu sehen. Das bedeutet nicht, dass die Vereinigten Staaten weiter Schulden machen können wie verrückt.

Wie lange kann es aber noch so weitergehen?

Bislang sind die USA damit davongekommen, weil das Wachstum hoch war und die Inflation zurückgegangen ist. Sie ist also unter Kontrolle. Das Haushaltsdefizit und die Verschuldung sind sehr hoch, was aber nicht mit den Kreditkosten des US-Finanzministeriums verbunden zu sein scheint – zumindest im Hinblick auf die Laufzeitprämie. Manche Leute in Europa sagen, wenn die Amerikaner das können ...

... sollten wir das auch tun. Ein Teil der deutschen Regierung sieht das sicher auch so.

Man muss dabei allerdings im Kopf behalten, warum das US-Haushaltsdefizit so groß ist. Ein Teil davon geht auf Programme wie den Inflation Reduction Act oder den Chips Act zurück. Während der Pandemie wurden Transferleistungen in erheblicher Höhe gezahlt. Zudem waren 2022 und in Teilen von 2023 die Staatseinnahmen sehr niedrig. Das hatte viel mit den Verlusten am Anleihen- und Aktienmarkt zu tun.

Wie wirkte sich das aus?

Es wurde nicht nur eine Menge ausgegeben, sondern trotz der stark wachsenden Wirtschaft weniger eingenommen. Die Inflation war hoch, also hat die Fed den Leitzins erhöht. Das Haushaltsdefizit war hoch, die Aufwendungen für den Schuldendienst stiegen. Doch die Laufzeitprämie kam wieder unter Kontrolle, weil man der Ansicht war, zu Recht wie ich meine, dass die Notenbank die Inflation unter Kontrolle hat und wieder nach unten Richtung Zielwert bringen wird. Aus meiner Sicht hat sie an den Märkten nicht an Glaubwürdigkeit verloren.

Wodurch würde sich das ändern?

Eher durch eine politische Krise als durch eine Haushalts- oder Finanzkrise.

Oder durch die Bank of Japan, die den Leitzins endlich zurück ins positive Terrain bringt?

Das könnte etwas ausmachen. Vielleicht habe ich bei diesem Thema eine etwas konträre Sicht. Man muss sich überlegen, wohin sich die Zinsdifferenz zwischen Japan und den USA bzw. dem Westen insgesamt entwickelt. Bevor die Inflation nach oben ging, war die Zinsdifferenz praktisch gleich null. In Japan waren es minus zehn Basispunkte, in den USA zwischen null und 0,25%.

Man folgte dem japanischen Beispiel.

Ben Bernanke und andere drängten Japan stärker in diese Richtung. Sie verlangten, die Inflation wieder in Gang zu bringen und die Deflation zu besiegen oder zu vermeiden. Alle betrieben Quantitative Easing. Die EZB hatte einen negativen Leitzins. Deutschland – und viele andere Regierungen – hatte negative Renditen. Einige Anleiheemittenten wurden von den Investoren dafür bezahlt, dass diese ihnen Geld leihen durften!

Und jetzt?

Jetzt wird die Zinsdifferenz höher sein, fast egal was passiert. Selbst wenn sich Japan für positive Zinsen entscheiden sollte, ist nur schwer vorstellbar, dass sie irgendwo in der Nähe von 2% liegen werden, von 5,5% gar nicht zu reden.

Der Abstand wird also ziemlich weit sein, vermutlich über die ganze Zinskurve hinweg. Vermutlich wird die Fed die Geldpolitik langsam lockern, wohl nicht so schnell wie am Markt eingepreist, aber irgendwann in diesem Jahr. Der Markt rechnet mit einer Lockerung bis ins Jahr 2025 hinein und ich gehe auch davon aus, dass die Fed beginnen wird, die Zinsen zu senken, und dass sich die Zinsdifferenz verringern wird. Aber selbst die aggressivsten Preisvorstellungen sind weit davon entfernt, die Zinsdifferenz gegen null gehen zu lassen. Die Zinsdifferenz zwischen den USA und Japan wird mit großer Wahrscheinlichkeit höher bleiben als vor der hohen Inflation.

"Wenn man sich einmal ansieht, wer US-Staatsanleihen hält, haben Käufer, die sie für ihre Währungsreserven erwerben, viel weniger Gewicht, als viele Leute glauben."

Arnab Das, Invesco

Was würde das heißen?

Das bedeutet, dass sich japanische Anleger etwas zurückhalten, aber nicht völlig zurückziehen werden. Sie werden nicht alles im Rest der Welt verkaufen und den Erlös komplett repatriieren. Wenn man sich einmal ansieht, wer US-Staatsanleihen hält, haben Käufer, die sie für ihre Währungsreserven erwerben, viel weniger Gewicht, als viele Leute glauben.

Wem gehören sie also?

Ein Drittel der 35 Bill. Dollar in Staatsanleihen liegt bei der US-Bundesregierung, beim Social Security Trust Fund und der Fed. Die Notenbank reduziert zwar ihr Portfolio, könnte das Quantitative Tightening aber verlangsamen, wenn sie beginnt, die Zinsen zu senken. Zuvor hatte man noch Angst, dass sie aufs Gas treten könnten, so wie es die Bank of England gemacht hat. Stattdessen dürfte die Fed auch ihre quantitative Straffung verlangsamen. Damit geht ein Drittel der Zinsen direkt wieder an die US-Bundesregierung zurück. Ein Drittel liegt bei einheimischen Investoren. Darunter befinden sich neben privaten Anlegern auch US-Bundesstaaten und -Gebietskörperschaften. Und ein Drittel liegt bei ausländischen Investoren. Etwa die Hälfte dieser 10 Bill. oder 12 Bill. Dollar sind Währungsreserven.

Das ist nicht viel.

Das ist richtig. Außerdem bauen einige Staaten ihre Währungsreserven aus, obwohl die russischen Währungsreserven eingefroren wurden. Mein Geburtsland Indien tut das im großen Stil. Viele Länder, die nach der Pandemie ihre Reserven abgeschmolzen haben, stocken sie nun wieder auf. Das soll nicht heißen, dass ausländische Käufer nicht wichtig wären. Aber die Devisenreserven machen vielleicht ein Fünftel der Gesamtschulden der US-Bundesregierung aus. Die Reservemanager der Zentralbanken sind wichtig, aber sie sind nicht immer der Grenzkäufer und generell nicht die größten Halter von US-Anleihen.

"Ich rechne nicht mit einer schnellen De-Dollarisierung über irgendeinen vernünftigen Anlagehorizont. Es werden zwar viel mehr Geschäfte in Renminbi gemacht und einige in indischen Rupien, aber da geht es mehr um Handelsfinanzierung als um Währungsreserven."

Arnab Das, Invesco

Und was ist mit dem Bedeutungsverlust des Dollar?

Ich rechne nicht mit einer schnellen De-Dollarisierung über irgendeinen vernünftigen Anlagehorizont. Es werden zwar viel mehr Geschäfte in Renminbi gemacht und einige in indischen Rupien, aber da geht es mehr um Handelsfinanzierung als um Währungsreserven. Die Teilnehmer haben oft Probleme mit der Akkumulation solcher Fremdwährungen, die sie ausschließlich für den bilateralen Handel nutzen können. 

Der Renminbi wird den Dollar also nicht so schnell ablösen.

Das Problem ist, dass die chinesische Währung nicht konvertierbar ist. Für Reservemanager wurde im Zuge der Anstrengungen der Volksrepublik zur Internationalisierung des Renminbi ein Zeitfenster geschaffen, um ihn zu handeln. Das Problem ist, dass er nicht so liquide wie der Dollar oder der US-Treasury-Markt ist. Länder wie Saudi-Arabien, die mit China in Renminbi handeln, werden es nicht so offen sagen. Aber wenn die Bewohner eines Landes die Währung und finanzielle Vermögenswerte nicht frei handeln können, ist der Wechselkurs nicht wirklich ein Marktpreis.

Was hat das für Auswirkungen?

Das bedeutet, dass es sich bei Zinsen und Anleiherenditen vielleicht auch nicht um Marktpreise handelt. Man geht das Risiko ein, dass der Wechselkurs neu festgelegt wird. Der Dollar richtet sich ständig neu aus, aber das erfolgt marktbasiert und deshalb in der Regel graduell, weil der Markt sehr tief und liquide ist. Damit ist es viel einfacher, Absicherungsgeschäfte zu tätigen.

Daher wäre das Ereignisrisiko einer Renminbi-Abwertung für Reservemanager oder Risikomanager, die sich Sorgen über derartige Szenarien machen müssen, viel schwieriger zu hedgen, wenn es überhaupt möglich wäre, wobei ich ein derartiges Szenario für nicht so wahrscheinlich halte. Es gibt also eine Menge Einschränkungen.

Wie sieht De-Dollarisierung in der Praxis aus?

Wenn Russland Öl an China liefert, kann es die Renminbi recyceln, indem es Stahl und andere Waren damit kauft. Mit Indien hat es dagegen ein Problem, weil es einen großen Handelsüberschuss in Rupien anhäuft. Zunächst dachte man in Moskau, dass sich das im Handel verrechnen lässt. Dann fragten die Russen Indien, ob man das Öl nicht in Dirham bezahlen könne. Doch Indien hat ein Defizit im Handel mit China und mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zudem ist der Dirham an den Dollar gebunden. Obwohl Moskau indirekt im Konflikt mit den USA steht, schien man selbst dort lieber in einer Währung zu handeln, die am Dollar hängt, als in Rupien.

Durch die Sanktionen des Westens kann Russland kaum mit Dollar und anderen westlichen Währungen handeln. Da die weltweite Verwendung anderer Währungen schwierig ist, dürfte ein Großteil der Welt aber noch eine Weile mit dem Dollar zu tun haben.

Wäre das ein Problem?

Meistens sind Großbritannien und der Großteil der Eurozone in der Lage gewesen, billiger Schulden zu machen als die Vereinigten Staaten, wenn man sich die Renditen ihrer Staatsanleihen ansieht. Es heißt immer, weil sie die Reservewährung Dollar haben, könnten die USA machen, was sie wollen. Ich wüsste nicht, woran man das festmachen soll.

Das Interview führte Andreas Hippin.

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